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Kategorie: Bücherwald (Seite 3 von 11)

Rezensionen von Büchern über Natur und Jagd, überwiegend aus der Rubrik Bücherwald im Magazin Halali

Vom Jagen in den Bergen

Cover Vom Jagen in den Bergen

Vielleicht lassen sich die Verfasser jagdlicher Literatur unterscheiden in schreibende Jäger und jagende Schriftsteller. Bei den einen steht das Jagderleben im Vordergrund und nicht unbedingt die Schönheit der Sprache, bei den anderen die literarische Qualität – wobei die Übergänge fließend sind. Ludwig Benedikt Freiherr von Cramer-Klett (1906-1985) zählt ganz zweifellos zu den Schriftstellern. Die Qualität seiner Literatur sticht bis heute weit heraus, vergleichbar nur mit anderen Klassikern wie Anton von Perfall, Hermann Löns, Friedrich von Gagern oder Philipp Graf von Meran (im deutschsprachigen Raum).

Jetzt ist sein Band „Die Heuraffler“ mit sechs Erzählungen in einer schmucken Ausgabe neu erschienen. Die titelgebende Erzählung, zuerst 1931 in der „Deutschen Jäger-Zeitung“ veröffentlicht, markierte nach eigenem Bekunden den Durchbruch Cramer-Kletts als Jagdschriftsteller. Darin geht es vordergründig um die Jagd auf die ebenso heimlichen wie kapitalen Hirsche des Heuraffelkopfs (ein Berg in den Chiemgauer Alpen). Tatsächlich geht es aber um das Verlangen des Jägers, seine innere Triebkraft und das Wechselbad der Gefühle am erlegten Stück. Und um die Erkenntnis, dass der größte Reichtum nicht in der Aneignung der Beute liegt, sondern im Wissen um die Existenz des Geheimen, Verborgenen und schier Unerreichbaren. Wie der Autor die Spannung aufbaut und über die gesamte Erzählung hält, ist wirklich meisterhaft!

So dankenswert es ist, dass der Kosmos Verlag diesen Klassiker wieder zugänglich macht, so schade ist es, dass dem Band jegliche Einordnung von Autor und Text fehlt. Nicht einmal die Jahreszahlen der Erstveröffentlichungen werden benannt. Ein Nachwort über Cramer-Klett, seine Werke sowie deren Rezeption und Bedeutung in der Jagdliteratur hätte diesen Band noch interessanter gemacht. 

Ludwig B. Freiherr von Cramer-Klett: Vom Jagen in den Bergen. Die Heuraffler, Franckh-Kosmos Verlag 2022, 309 Seiten gebunden, 28,00 Euro

Das unterschätzte Tier

Menschen und Tiere haben vielfältige Berührungspunkte: Wir lieben unsere Haustiere, halten Nutztiere, schützen und jagen Wildtiere, bekämpfen Kleinsäuger oder Wirbellose, die wir als Schädlinge definieren. Auch indirekt wirkt sich die menschliche Nutzung von Wasser, Land und Luftraum auf die Lebenswelten der Tiere aus. Das mag für unbedenklich halten, wer das biblische „Macht euch die Erde untertan!“ als universellen Freibrief versteht, oder wer Tieren kurzerhand jede Fähigkeit abspricht, Emotionen zu empfinden. Aber in den vergangenen Jahrzehnten hat die Wissenschaft unzweifelhafte Belege dafür geliefert, dass Tiere durchaus differenziert fühlen und zielführend denken können. Der bekannte Verhaltensbiologie Norbert Sachser spricht zurecht von einer „Revolution des Tierbilds“ und begründet das in seinem 2018 erschienen Buch „Der Mensch im Tier“. 

Gemeinsam mit zwei Fachkollegen hat er jetzt einen Sammelband herausgegeben, der den Stand des Wissens und der Forschung zeigt. Hervorgegangen ist das Kompendium aus einer interdisziplinären Veranstaltungsreihe an der Uni Münster. In den einzelnen Beiträgen bearbeiten Fachleute das Thema unter anderem aus Sicht der Ethologie, Tierpathologie, Biologie und Zoologie, auch Disziplinen wie Theologie, Philosophie, Rechts- und Kunstwissenschaft kommen zu Wort. Und sie formulieren Konsequenzen, die das neue Bild der Tiere für unser Handeln haben sollte. Dabei geht es um Wohl und Leid der Tiere, um ihre Würde und Rechte, um Schutz und Haltung. Man wird vielleicht nicht jeder Schlussfolgerung in diesem Band zustimmen können, aber die Auseinandersetzung mit den Argumenten ist dringend notwendig und ganz sicher keine Zeitverschwendung.

Norbert Sachser, Niklas Kästner, Tobias Zimmermann (Hrsg.): Das unterschätzte Tier. Was wir heute über Tiere wissen und im Umgang mit ihnen besser machen müssen, Hamburg 2022, Rowohlt Verlag, Taschenbuch 224 Seiten, 14,00 Euro

Was die Dörfer einst zusammenhielt

Siegel Dörfer

Ulrike Siegel verdanken wir das Genre der Bauerntöchter-Geschichten. Am Anfang stand ihre erfolgreiche Trilogie mit autobiografischen Erzählungen. Und weil man Wellen reiten muss, solange sie nicht gebrochen sind, folgten unter anderem Geschichten von Frauen, die Höfe verlassen, und solchen, die in Höfe eingeheiratet haben, außerdem wandelten Bauerntöchter auf den Spuren ihrer Mütter. Auch prominente Bauernkinder fanden sich schon zwischen zwei Buchdeckeln wieder. 

Jetzt hat Ulrike Siegel ein Buch herausgegeben, in dem 19 Frauen und Männer Geschichten aus ihrer Kindheit in den 1950er- und 60er-Jahren erzählen. Es sind Spitzlichter auf eine dörfliche Heimat zwischen Bayern und Schleswig-Holstein, Sachsen und Nordrhein-Westphalen. Ganz subjektive Erinnerungen an Personen, Rollenmuster und Gewohnheiten, an Strukturen und Prozesse, an Arbeits- und Lebenswelten auf dem Lande. Das Buch leistet keine systematische Darstellung der Dorfkultur, aber aus der Summe der Einzelerzählungen erwächst ein Gesamtbild eines Lebens „zwischen Idylle, Enge und Engagement“ (Klappentext).

Die Beiträge sind überwiegend lesenswert und unterhaltsam, beschwören Bilder und Erinnerungen herauf und machen deutlich, wie radikal sich der ländliche Raum in nur wenigen Jahrzehnten gewandelt hat. Naturgemäß tappen einige der Autorinnen und Autoren in die „Früher-war-alles-besser“-Falle, wie sollte es auch anders sein, wenn man Menschen nach ihrer Kindheit befragt. Es ist schließlich kein historisches Sachbuch. Aber man hätte sich doch eine zusammenfassende Einordnung, eine Art Synthese gewünscht.

Ulrike Siegel: Was die Dörfer einst zusammenhielt. Gesichter und Geschichten aus einer vergangenen Zeit, LV.Buch 2022, 224 Seiten Broschur, 18,00 Euro

Vogelstimmen

Bei vielen Menschen, die noch nicht das gesetzliche Rentenalter erreicht haben, dürften zunächst alle Alarmglocken klingeln, wenn sie die Zuschreibung „bekannter Vogelstimmen-Imitator“ hören. Angesichts funktionierender Bestimmungs-Apps und vielfältiger Audio-Angebote der digitalen Medien wirkt das irgendwie aus der Zeit gefallen. Womöglich entsteht vor dem inneren Auge ein Bild, das an Heinz Erhardt oder den ersten Bohnenkaffee nach dem Krieg erinnert. Aber wer Uwe Westphal auf der Bühne erlebt, wird schnell eines Besseren belehrt: Der Biologe, ehemals hauptamtliche Naturschützer und Redakteur einer ornithologischen Fachzeitschrift versteht es wirklich, sein Auditorium mit einem Mix aus Stimmen-Imitationen, sachlichen Informationen und Anekdoten aus der Vogelwelt zu faszinieren. 

Jetzt hat er ein neues Buch geschrieben, dessen Titel etwas irreführend ist. Denn es geht darin nicht nur um Vogelstimmen, sondern vielmehr um die Darstellung verschiedener Waldlebensräume. Westphal nimmt seine Leser*innen mit auf 16 Exkursionen rund ums Jahr, etwa in einen „Fichtenforst im Januar“ oder „Eichenwald im Oktober“. Dabei nähert er sich dem Habitat jeweils über die wahrgenommenen Gesänge und Rufe charakteristischer Vogelarten und beschreibt dann die dort typische Pflanzen-Tier-Pilz-Gemeinschaft. Zwei Kapitel über den historischen Wandel „Vom Wald zum Forst – und zurück?“ bzw. zur Gefährdungssituation der Waldvögel runden das Buch ab.

Natürlich kann die Darstellung auf 184 Seiten, auf denen außerdem noch zahlreiche naturalistische Illustrationen von Heidi Janicek ihren Platz gefunden haben, nicht abschließend und umfassend sein. Aber der Autor liefert noch zusätzliche Informationen in farblich hervorgehobenen Kästen, zum Beispiel über den Wald-Wild-Konflikt. Dabei ist ihm eine weitestgehend ausgewogene Darstellung gelungen.

Uwe Westphal: Vogelstimmen in Wald und Hecke, Vögel, Bäume, Sträucher – entdecken und verstehen, 2022, pala-Verlag, 184 Seiten, Hardcover, 24,90 Euro

Mit Jägers Blick

Die Idee zum Buch, so schreibt die Autorin im Vorwort, ist es, die Atmosphäre der Jagdhütte ins heimische Wohnzimmer zu holen. Die Stimmung nach der Jagd, wenn das Kaminfeuer prasselt, wenn deftige Würste und Schnaps auf den Tisch und die Waidmänner ins Erzählen kommen. Denn viele ihrer Geschichten seien es Wert, erzählt zu werden und nicht hinter den verschlossenen Türen der Hütte zu verbleiben. Deswegen hat die Journalistin und Autorin Iris Schaper einige Jäger nach besonderen oder ungewöhnlichen Jagderlebnissen befragt und daraus insgesamt 18 kurzweilige Erzählungen gemacht. Der Großteil der stimmungsvollen Fotos stammt von Naturfotograf und Autor Jürgen Borris. Abgerundet wird der Bildband durch Wildrezepte und einige illustrative Zitate zur Jagd.

Die Erzählungen handeln von Pirsch, Ansitz oder Treibjagd, von mutigen Jagdhunden, von der Jagd auf Rothirsch, Keiler oder Ente, von Erlebnissen mit Behörden oder anderen Jägern. Es sind klassische Jagderzählungen darunter, Erlebnisse und Erinnerungen an besondere Situationen oder Trophäen, anekdotische Geschichten zum Schmunzeln und auch durchaus kritische Anmerkungen. Seeben Arjes beispielsweise erzählt nachdenklich von einem dicken Auslandsjäger, dem das Feiern wichtiger war als der waidgerechte Schuss.

Die Rezepte in diesem Coffee Table Book klingen gut – allerdings fragt sich der geneigte Leser, in welcher Jagdhütte Gerichte wie „Rehrücken mit Wirsingkohl und Steinpilzen“ oder „Nutriakeule mit gebackenen Süßkartoffeln“ gereicht werden.

Jürgen Borris und Iris Schaper: Mit Jägers Blick. Erzählungen & Impressionen, Müller Rüschlikon Verlag 2019, 159 Seiten gebunden, 29,90 Euro

Das Schweigen der Frösche

Nicht erst seit der Pandemie ist eine allgemeine Hinwendung zur Natur zu verzeichnen. Zumindest in jenen (westlichen) Ländern, deren Landsleute in besonderem Maße zur Klima- und Artenkrise beitragen. Das zeigt sich auch in einem regelrechten Boom der Naturführer und Sachbücher über Insekten und Vögel, Wald und Wiese. Da krabbeln die Käfer, tirilieren die Vögel und brummen die Bäume, dass es die reinste Freude ist – nicht nur die Freude des Buchhandels. In aller Regel sind es Autorinnen und Autoren, die von außen auf die Natur schauen, sachkundig erläuternd in Feld und Flur oder schöpfend aus der Fülle der Fachliteratur.

Pauline de Bok geht anders vor. Wie schon „Blankow oder Das Verlangen nach Heimat“, eine Art Reisereportage in die Vergangenheit, und „Beute“, eine Reise ins Innerste der jagenden Autorin, hat sie auch ihr neues Buch als teilnehmende Beobachtung angelegt. Wieder hat sie sich in ihren mehr oder weniger zum Wohnhaus umgebauten Stall irgendwo in Mecklenburg zurückgezogen, dessen genaue Lage übrigens immer noch nicht verraten wird. Für de Bok ist der Ort zur „zweiten Heimat“ geworden. Umso mehr schmerzt sie die drohende Ausweisung, denn als Niederländische Staatsbürgerin darf sie während des ersten Lockdowns eigentlich gar nicht dort sein. Nur gut, dass ihr Auto mit dem gelben Kennzeichen defekt in einer Kfz-Werkstatt steht, was sie noch enger an den Ort bindet.

Aber das ist nur ein Nebenthema des Buches. De Bok beobachtet die Natur um sie herum, als „Tier unter Tieren“ oder „Menschentier“, das mit dem Ort „verwachsen“ ist. Sie sieht sich als Glied in der Nahrungskette, als Teil des Biotops, in dem sie gärtnert, sammelt und jagt, Wild beobachtet, einen Teich anlegt, Waschbären fängt (und isst!). Sie beschreibt ihr alltägliches Tun, reflektiert sich selbst und große Fragen wie die nach dem Recht zu töten, ohne dabei pathetisch zu werden. Auch Prädatorenregulation und Drückjagden werden kritisch hinterfragt (aber nicht abgelehnt). Und de Bok thematisiert immer wieder Klimawandel und Artensterben, die sich vielfältig in der nur scheinbar heilen Idylle des Hinterlands zeigen. Ein sehr berührendes Buch, auch wenn die Übersetzung an einigen wenigen Stellen fachlich schwächelt, etwa wenn eine Ricke mit ihrem „Kälbchen“ beschrieben wird.

Pauline de Bok: Das Schweigen der Frösche. Oder die Kunst, die Natur zu belauschen, C.H. Beck Verlag 2022, 320 Seiten gebunden, 24,00 Euro

Das große Buch vom Vogelzug

Vogelzug BuchNicht nur für Hobby-Birdwatcher ist der Zug der Vögel ebenso faszinierend wie geheimnisvoll. Manches wissen auch die Fachleute noch nicht, anderes wird dank moderner telemetrischer und molekularbiologischer Methoden nach und nach bekannt und verstanden. Angefangen bei der Frage, warum die Vögel überhaupt ziehen, warum sie Jahr um Jahr von ihren Brutgebieten in die Winterquartiere und zurück fliegen, mitunter Tausende Kilometer über Gebirge, Meere und Wüsten; über Fragen wie die, woran sich Zugvögel orientieren, mit welchen Sinnen sie navigieren, wie auch Jungvögel ohne Führung durch die Elternteile diese Reise meistern; bis hin zu Fragen über die Auswirkungen von Wetter, Klimawandel und Artensterben. 

Franz Bairlein hat jetzt eine wirklich „umfassende Gesamtdarstellung“ des Vogelzugs vorgelegt. Kaum jemand verfügte über größere Expertise zu diesem Thema als der vielfach geehrte und ausgezeichnete ehemalige Direktor des Instituts für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ in Wilhelmshaven und heutige Fellow am Max Planck Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell. Seit seiner Promotion im Jahr 1980 war und ist die Vogelzugforschung sein Forschungsschwerpunkt. Und damit ist auch das einzige Manko dieses Buches benannt: Der Mann weiß zu viel.

Aber das wird ernsthaft nur bemängeln, wer leichte Nachtlektüre sucht. Wer sich dagegen verlässlich über den Vogelzug informieren will, hält mit diesem Werk die derzeit umfassendste und übrigens auch für Laien gut lesbare Gesamtdarstellung des weltweiten Vogelzuges in der Hand. Auf mehr als 350 Seiten stellt Bairlein systematisch dar, was es zum Thema darzustellen gibt, illustriert und verdeutlicht durch unzählige Grafiken und Fotos. Ein umfassendes Stichwortregister ermöglicht die Nutzung als Nachschlagewerk.

Franz Bairlein: Das große Buch vom Vogelzug. Eine umfassende Gesamtdarstellung, Aula Verlag 2022, 368 Seiten gebunden, 49,95 Euro

Endlich Jäger

Jungjäger scheinen nach wie vor eine lesende Zielgruppe zu sein. Das jedenfalls muss denken, wer einmal spaßeshalber die Begriffe „Buch“ und „Jungjäger“ in die Internet-Suchmaschine eingibt. Die Liste der einschlägigen Titel ist erstaunlich lang, ganz offensichtlich gibt es einen Markt für „Jungjägerguides“ und „Jäger-Knigges“. Wer also schon ganz kulturpessimistisch befürchtet hat, der jagende Nachwuchs tummele sich heute ausschließlich in Social-Media-Kanälen und auf den Blogs junger Jagdinfluencer*innen, darf wieder hoffen.

Für das hier angezeigte Buch haben sich vier Jägerinnen und Jäger zusammengetan und jeweils ein Kapitel beigesteuert: Alexander Losert, Sportschütze, Schießlehrer und Fachautor, befasst sich mit dem Handwerkszeug des Jägers, angefangen bei der Büchse über blanke Waffen und Zubehör bis zur Waffenaufbewahrung und zum Gebrauchtwaffenkauf. Johannes Maidhof, jagdlicher Autor und Produkttester sowie ehrenamtlicher Naturschützer, schreibt über Zielfernrohre, Nachtsicht- und Wärmebildtechnik sowie über die Blattjagd, außerdem versammelt er abschließend noch einige kurze Statements, beispielsweise zum Brauchtum. Michel Lauer, Ausbildungsleiter einer Jagdschule, thematisiert Jagdarten und jagdliche Einrichtungen sowie Öffentlichkeitsarbeit und den Umgang mit Jagdkritik. Und Carola Rathjens, Jagdautorin und Hundeführerin mit agrarwissenschaftlichem Mastertitel, steuert das Thema „Jagdhunde“ bei und macht sich außerdem noch kurz Gedanken über Frauen auf der Jagd, jagdliche Kontakte, die Grundausstattung des Jägers und die Arbeit nach dem Schuss.

Jedes der reich bebilderten Kapitel beginnt mit „10 Fragen an …“ und endet mit einem Porträt des Autors bzw. der Autorin. Aber damit sind die systematischen Gemeinsamkeiten schon erschöpft. Wenn auch im Einzelnen viel Lesenswertes im Buch steht und es ganz sicher kein Schaden für den Jungjäger und die Jungjägerin ist, es zu lesen, so wirken die vier Kapitel insgesamt etwas zufällig zusammengestellt. Warum beispielsweise Optik und Blattjagd in einem Kapitel zusammengefasst sind, oder „Jäger und ihre Hunde“ und „Frauen bei der Jagd“, erschließt sich dem geneigten Rezensenten nicht. 

Alexander Losert, Johannes Maidhof, Carola Rathjens, Michel Lauer: Endlich Jäger! Und nun?, Verlag Müller-Rüschlikon 2021, 191 Seiten gebunden, 24,90 Euro

Der Wolf und wir

Der Wolf und wir

Vor rund 22 Jahren wurden in der Muskauer Heide die ersten deutschen Wolfswelpen der Neuzeit geboren. Irgendwo in Sachsen, in der Oberlausitz, auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz. Ohne den regional Indigenen zu nahe zu treten, wird man wohl sagen können, dass dieser Ort weit entfernt von jeglicher Aufmerksamkeitsindustrie liegt. Es dauerte eine Weile, bis sich 2005 ein zweites Rudel fand, noch in der Nähe, aber dann breiteten sich die Wölfe rasant aus: Im Monitoringjahr 2020/21 wurden in der Bundesrepublik 157 Rudel und 27 Paare bestätigt. In der Summe dürften hier also derzeit mindestens 1400 Tiere leben, und viele Beobachter gehen davon aus, dass es noch deutlich mehr sind.

Die Literatur zur Rückkehr der Wölfe zeigt ein beinahe ebenso exponentielles Wachstum. Da gibt es einige lesenswerte Bücher, etwa Eckhard Fuhrs „Rückkehr der Wölfe“ oder Klaus Hackländers „Er ist da“, und auch viel esoterischen Unsinn („Wolfsmedizin“, „Krafttier der Seele“, „Das geheime Wissen der Wölfe“). Auch Kurt Kotrschal hat mit „Wolf – Hund – Mensch“ bereits einen interessanten Beitrag geliefert. Jetzt hat der unterdessen emeritierte Professor an der Universität Wien und Mitbegründer des Wolf Science Center Ernstbrunn (WSC) noch ein weiteres Buch vorgelegt.

Kurt Kotrschal gehört zu den weltweit renommiertesten Verhaltensforschern. Über Jahrzehnte verglich er gemeinsam mit seinen KollegInnen am WSC das Wesen von Wölfen und Hunden in Beziehung zum Menschen. Eine Besonderheit dieser vergleichenden Forschungen war und ist, dass hier Wölfe und Hunde gleichermaßen und parallel aufgezogen und erforscht werden. Im Ergebnis dieser Arbeiten mussten schon einige als sicher geglaubte Erkenntnisse über Hunde und Wölfe (und Menschen!) über Bord geworfen werden. Das spannende, knapp 100 Seiten starke Kapitel „Wie Wölfe zu Hunden wurden“ basiert auf diesen Forschungen.

Die beiden anderen Hauptkapitel über die Beziehungsgeschichte Wolf-Mensch und die Rückkehr der Wölfe sind leider von einem unsachlichen und inakzeptablen Jäger-Bashing geprägt, das diese Teile schwer lesbar macht. Jegliche Kritik an der unregulierten Ansiedelung der Wölfe, nicht nur von NutztierhalterInnen, sondern auch von renommierten KollegInnen, behandelt Kotrschal herablassend als Mythos oder Irrglaube, und er weist penetrant auf illegale Wolfstötungen durch JägerInnen hin. Unbedarfte LeserInnen müssen den Eindruck gewinnen, die österreichische und deutsche Jägerschaft sei ganz überwiegend damit beschäftigt, die Überwindung der Biodiversitäts- und Klimakrise zu verhindern. Wenn sie nicht gerade Wölfe meuchelt, züchtet sie Reh-, Rot- und Schwarzwild, aus reiner Trophäengier, wie sich wohl versteht.

Solcherart Unsachlichkeit schadet allerdings Autor und Buch mehr als den Diffamierten. Es mag sein, dass die Situation in Österreich eine andere ist. Für Deutschland sieht die Zahl – nach Angabe des Nabu, der nicht im Verdacht steht, JägerInnen zu verteidigen – so aus: Zwischen 2000 und 2021 wurden 66 Wölfe illegal getötet. Das sind 66 zuviel, keine Frage! Aber angesichts einiger Tausend Wölfe, die in diesen Jahren hier gelebt haben oder noch leben, und angesicht der mehr als 400.000 JägerInnen, ist eine derart undifferenzierte und teilweise ehrabschneidende Pauschalkritik („Ewiggestrige“), wie Kotrschal sie hier übt, schlicht und ergreifend ungerechtfertigt und sachlich falsch.

„Heute ist die Rückkehr der Wildtiere mit Konflikten und aufgeheizten Debatten über Gefahr und Abschuss verbunden“, schreibt der Verlag zum Buch. Genau deswegen hätten man sich von einem Wissenschaftler wie Kurt Kotrschal einen ausgewogeneren Beitrag gewünscht.

Abendflüge

Abendflüge

Mit „H wie Habicht“ hat Helen Macdonald 2014 einen vielfach ausgezeichneten autobiografischen Roman und Bestseller geschrieben. Angesichts der Thematik war das mehr als überraschend: Zur Bewältigung der Trauer über den plötzlichen Tod des Vaters erwirbt die Autorin ein Habichtsweibchen und richtet es für die Beizjagd ab. Detailliert beschreibt sie Erfolge und Rückschläge sowie die zunehmende Bindung zwischen Beizvogel und Falknerin. Aus der Passion wird allerdings zunehmend Obsession, mit erheblichen Folgeproblemen. Bereits 2006 hatte sie ein lesenswertes Buch über Falken geschrieben, die „Biografie eines Räubers“, das hierzulande aber erst nach dem Erfolg des Habichts-Buches auf den Markt kam.

Jetzt hat die britische Autorin einen Band mit Essays vorgelegt, in denen es um Nester, Wolkenkratzer oder Winterwälder geht, auch um Schwäne, Gewitter oder Beeren. Viele davon sind zuerst in Magazinen wie dem New York Times Magazine oder in Sammelbänden erschienen. Es sind insgesamt 41 Prosastücke, selten länger als 5 oder 8 Seiten, kurze Geschichten, Gedanken und Reflexionen, die sich nur schwer einem literarischen Genre zuordnen lassen. Am ehesten ist es wohl New Nature Writing

Helen Macdonald sagt über sich selbst, ihr Thema als Schriftstellerin sei die Liebe, und zwar „in allererster Linie die Liebe zur schillernden Welt des nichtmenschlichen Lebens um uns herum.“ Diese Liebe erkennt die Eigenständigkeit von Natur an und hinterfragt die menschlichen Zuschreibungen und Annahmen. Damit schafft sie auch die Möglichkeit, Verschiedenheiten zu erfahren und sich an der Komplexität der Natur zu erfreuen, ohne sie sich Untertan zu machen. Zuletzt geht es um die Rolle des Menschen auf unserem Planeten. Die Essays kommen aber so leicht und spielerisch daher, dass es an keine Stelle pathetisch wird. 

Helen Macdonald, Abendflüge, Hanser Verlag 2021, 352 Seiten gebunden, 24,00 Euro

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