Im Sommer 2022 habe ich versucht, für meine Steirische Rauhhaarbracke „Bo“ eine spezielle Nachsuchen-Schutzweste anfertigen zu lassen – am Ende überraschenderweise ohne Erfolg. Vier von fünf der angefragten Hersteller priesen nur ihre Standard-Stöberhund-Schutzwesten an, am Ende ließ sich immerhin einer beauftragen. Um dann Wochen später eine Weste abzuliefern, die ganz und gar nicht den Anforderungen genügte.
Ich habe daraus einen längeren Artikel gemacht und den mehreren Jagdzeitschriften angeboten – ebenfalls ohne Erfolg. Denn er passte ja nicht in die üblichen Kategorien: Es ist kein jagdlicher Heldentaten-Bericht („Ich-kam-sah-und-schoss-es-tot“) und kein Produkttest („der anerkannte Experte XY hat den Praxistest gemacht“), außerdem kommen weder der Wolf noch irgendeine grüne Landesministerin darin vor.
Menschen und Tiere haben vielfältige Berührungspunkte: Wir lieben unsere Haustiere, halten Nutztiere, schützen und jagen Wildtiere, bekämpfen Kleinsäuger oder Wirbellose, die wir als Schädlinge definieren. Auch indirekt wirkt sich die menschliche Nutzung von Wasser, Land und Luftraum auf die Lebenswelten der Tiere aus. Das mag für unbedenklich halten, wer das biblische „Macht euch die Erde untertan!“ als universellen Freibrief versteht, oder wer Tieren kurzerhand jede Fähigkeit abspricht, Emotionen zu empfinden. Aber in den vergangenen Jahrzehnten hat die Wissenschaft unzweifelhafte Belege dafür geliefert, dass Tiere durchaus differenziert fühlen und zielführend denken können. Der bekannte Verhaltensbiologie Norbert Sachser spricht zurecht von einer „Revolution des Tierbilds“ und begründet das in seinem 2018 erschienen Buch „Der Mensch im Tier“.
Gemeinsam mit zwei Fachkollegen hat er jetzt einen Sammelband herausgegeben, der den Stand des Wissens und der Forschung zeigt. Hervorgegangen ist das Kompendium aus einer interdisziplinären Veranstaltungsreihe an der Uni Münster. In den einzelnen Beiträgen bearbeiten Fachleute das Thema unter anderem aus Sicht der Ethologie, Tierpathologie, Biologie und Zoologie, auch Disziplinen wie Theologie, Philosophie, Rechts- und Kunstwissenschaft kommen zu Wort. Und sie formulieren Konsequenzen, die das neue Bild der Tiere für unser Handeln haben sollte. Dabei geht es um Wohl und Leid der Tiere, um ihre Würde und Rechte, um Schutz und Haltung. Man wird vielleicht nicht jeder Schlussfolgerung in diesem Band zustimmen können, aber die Auseinandersetzung mit den Argumenten ist dringend notwendig und ganz sicher keine Zeitverschwendung.
Norbert Sachser, Niklas Kästner, Tobias Zimmermann (Hrsg.): Das unterschätzte Tier. Was wir heute über Tiere wissen und im Umgang mit ihnen besser machen müssen, Hamburg 2022, Rowohlt Verlag, Taschenbuch 224 Seiten, 14,00 Euro
Ulrike Siegel verdanken wir das Genre der Bauerntöchter-Geschichten. Am Anfang stand ihre erfolgreiche Trilogie mit autobiografischen Erzählungen. Und weil man Wellen reiten muss, solange sie nicht gebrochen sind, folgten unter anderem Geschichten von Frauen, die Höfe verlassen, und solchen, die in Höfe eingeheiratet haben, außerdem wandelten Bauerntöchter auf den Spuren ihrer Mütter. Auch prominente Bauernkinder fanden sich schon zwischen zwei Buchdeckeln wieder.
Jetzt hat Ulrike Siegel ein Buch herausgegeben, in dem 19 Frauen und Männer Geschichten aus ihrer Kindheit in den 1950er- und 60er-Jahren erzählen. Es sind Spitzlichter auf eine dörfliche Heimat zwischen Bayern und Schleswig-Holstein, Sachsen und Nordrhein-Westphalen. Ganz subjektive Erinnerungen an Personen, Rollenmuster und Gewohnheiten, an Strukturen und Prozesse, an Arbeits- und Lebenswelten auf dem Lande. Das Buch leistet keine systematische Darstellung der Dorfkultur, aber aus der Summe der Einzelerzählungen erwächst ein Gesamtbild eines Lebens „zwischen Idylle, Enge und Engagement“ (Klappentext).
Die Beiträge sind überwiegend lesenswert und unterhaltsam, beschwören Bilder und Erinnerungen herauf und machen deutlich, wie radikal sich der ländliche Raum in nur wenigen Jahrzehnten gewandelt hat. Naturgemäß tappen einige der Autorinnen und Autoren in die „Früher-war-alles-besser“-Falle, wie sollte es auch anders sein, wenn man Menschen nach ihrer Kindheit befragt. Es ist schließlich kein historisches Sachbuch. Aber man hätte sich doch eine zusammenfassende Einordnung, eine Art Synthese gewünscht.
Ulrike Siegel: Was die Dörfer einst zusammenhielt. Gesichter und Geschichten aus einer vergangenen Zeit, LV.Buch 2022, 224 Seiten Broschur, 18,00 Euro
Bei vielen Menschen, die noch nicht das gesetzliche Rentenalter erreicht haben, dürften zunächst alle Alarmglocken klingeln, wenn sie die Zuschreibung „bekannter Vogelstimmen-Imitator“ hören. Angesichts funktionierender Bestimmungs-Apps und vielfältiger Audio-Angebote der digitalen Medien wirkt das irgendwie aus der Zeit gefallen. Womöglich entsteht vor dem inneren Auge ein Bild, das an Heinz Erhardt oder den ersten Bohnenkaffee nach dem Krieg erinnert. Aber wer Uwe Westphal auf der Bühne erlebt, wird schnell eines Besseren belehrt: Der Biologe, ehemals hauptamtliche Naturschützer und Redakteur einer ornithologischen Fachzeitschrift versteht es wirklich, sein Auditorium mit einem Mix aus Stimmen-Imitationen, sachlichen Informationen und Anekdoten aus der Vogelwelt zu faszinieren.
Jetzt hat er ein neues Buch geschrieben, dessen Titel etwas irreführend ist. Denn es geht darin nicht nur um Vogelstimmen, sondern vielmehr um die Darstellung verschiedener Waldlebensräume. Westphal nimmt seine Leser*innen mit auf 16 Exkursionen rund ums Jahr, etwa in einen „Fichtenforst im Januar“ oder „Eichenwald im Oktober“. Dabei nähert er sich dem Habitat jeweils über die wahrgenommenen Gesänge und Rufe charakteristischer Vogelarten und beschreibt dann die dort typische Pflanzen-Tier-Pilz-Gemeinschaft. Zwei Kapitel über den historischen Wandel „Vom Wald zum Forst – und zurück?“ bzw. zur Gefährdungssituation der Waldvögel runden das Buch ab.
Natürlich kann die Darstellung auf 184 Seiten, auf denen außerdem noch zahlreiche naturalistische Illustrationen von Heidi Janicek ihren Platz gefunden haben, nicht abschließend und umfassend sein. Aber der Autor liefert noch zusätzliche Informationen in farblich hervorgehobenen Kästen, zum Beispiel über den Wald-Wild-Konflikt. Dabei ist ihm eine weitestgehend ausgewogene Darstellung gelungen.
Uwe Westphal: Vogelstimmen in Wald und Hecke, Vögel, Bäume, Sträucher – entdecken und verstehen, 2022, pala-Verlag, 184 Seiten, Hardcover, 24,90 Euro
Die Idee zum Buch, so schreibt die Autorin im Vorwort, ist es, die Atmosphäre der Jagdhütte ins heimische Wohnzimmer zu holen. Die Stimmung nach der Jagd, wenn das Kaminfeuer prasselt, wenn deftige Würste und Schnaps auf den Tisch und die Waidmänner ins Erzählen kommen. Denn viele ihrer Geschichten seien es Wert, erzählt zu werden und nicht hinter den verschlossenen Türen der Hütte zu verbleiben. Deswegen hat die Journalistin und Autorin Iris Schaper einige Jäger nach besonderen oder ungewöhnlichen Jagderlebnissen befragt und daraus insgesamt 18 kurzweilige Erzählungen gemacht. Der Großteil der stimmungsvollen Fotos stammt von Naturfotograf und Autor Jürgen Borris. Abgerundet wird der Bildband durch Wildrezepte und einige illustrative Zitate zur Jagd.
Die Erzählungen handeln von Pirsch, Ansitz oder Treibjagd, von mutigen Jagdhunden, von der Jagd auf Rothirsch, Keiler oder Ente, von Erlebnissen mit Behörden oder anderen Jägern. Es sind klassische Jagderzählungen darunter, Erlebnisse und Erinnerungen an besondere Situationen oder Trophäen, anekdotische Geschichten zum Schmunzeln und auch durchaus kritische Anmerkungen. Seeben Arjes beispielsweise erzählt nachdenklich von einem dicken Auslandsjäger, dem das Feiern wichtiger war als der waidgerechte Schuss.
Die Rezepte in diesem Coffee Table Book klingen gut – allerdings fragt sich der geneigte Leser, in welcher Jagdhütte Gerichte wie „Rehrücken mit Wirsingkohl und Steinpilzen“ oder „Nutriakeule mit gebackenen Süßkartoffeln“ gereicht werden.
Jürgen Borris und Iris Schaper: Mit Jägers Blick. Erzählungen & Impressionen, Müller Rüschlikon Verlag 2019, 159 Seiten gebunden, 29,90 Euro
Nicht erst seit der Pandemie ist eine allgemeine Hinwendung zur Natur zu verzeichnen. Zumindest in jenen (westlichen) Ländern, deren Landsleute in besonderem Maße zur Klima- und Artenkrise beitragen. Das zeigt sich auch in einem regelrechten Boom der Naturführer und Sachbücher über Insekten und Vögel, Wald und Wiese. Da krabbeln die Käfer, tirilieren die Vögel und brummen die Bäume, dass es die reinste Freude ist – nicht nur die Freude des Buchhandels. In aller Regel sind es Autorinnen und Autoren, die von außen auf die Natur schauen, sachkundig erläuternd in Feld und Flur oder schöpfend aus der Fülle der Fachliteratur.
Pauline de Bok geht anders vor. Wie schon „Blankow oder Das Verlangen nach Heimat“, eine Art Reisereportage in die Vergangenheit, und „Beute“, eine Reise ins Innerste der jagenden Autorin, hat sie auch ihr neues Buch als teilnehmende Beobachtung angelegt. Wieder hat sie sich in ihren mehr oder weniger zum Wohnhaus umgebauten Stall irgendwo in Mecklenburg zurückgezogen, dessen genaue Lage übrigens immer noch nicht verraten wird. Für de Bok ist der Ort zur „zweiten Heimat“ geworden. Umso mehr schmerzt sie die drohende Ausweisung, denn als Niederländische Staatsbürgerin darf sie während des ersten Lockdowns eigentlich gar nicht dort sein. Nur gut, dass ihr Auto mit dem gelben Kennzeichen defekt in einer Kfz-Werkstatt steht, was sie noch enger an den Ort bindet.
Aber das ist nur ein Nebenthema des Buches. De Bok beobachtet die Natur um sie herum, als „Tier unter Tieren“ oder „Menschentier“, das mit dem Ort „verwachsen“ ist. Sie sieht sich als Glied in der Nahrungskette, als Teil des Biotops, in dem sie gärtnert, sammelt und jagt, Wild beobachtet, einen Teich anlegt, Waschbären fängt (und isst!). Sie beschreibt ihr alltägliches Tun, reflektiert sich selbst und große Fragen wie die nach dem Recht zu töten, ohne dabei pathetisch zu werden. Auch Prädatorenregulation und Drückjagden werden kritisch hinterfragt (aber nicht abgelehnt). Und de Bok thematisiert immer wieder Klimawandel und Artensterben, die sich vielfältig in der nur scheinbar heilen Idylle des Hinterlands zeigen. Ein sehr berührendes Buch, auch wenn die Übersetzung an einigen wenigen Stellen fachlich schwächelt, etwa wenn eine Ricke mit ihrem „Kälbchen“ beschrieben wird.
Pauline de Bok: Das Schweigen der Frösche. Oder die Kunst, die Natur zu belauschen, C.H. Beck Verlag 2022, 320 Seiten gebunden, 24,00 Euro
Nicht nur für Hobby-Birdwatcher ist der Zug der Vögel ebenso faszinierend wie geheimnisvoll. Manches wissen auch die Fachleute noch nicht, anderes wird dank moderner telemetrischer und molekularbiologischer Methoden nach und nach bekannt und verstanden. Angefangen bei der Frage, warum die Vögel überhaupt ziehen, warum sie Jahr um Jahr von ihren Brutgebieten in die Winterquartiere und zurück fliegen, mitunter Tausende Kilometer über Gebirge, Meere und Wüsten; über Fragen wie die, woran sich Zugvögel orientieren, mit welchen Sinnen sie navigieren, wie auch Jungvögel ohne Führung durch die Elternteile diese Reise meistern; bis hin zu Fragen über die Auswirkungen von Wetter, Klimawandel und Artensterben.
Franz Bairlein hat jetzt eine wirklich „umfassende Gesamtdarstellung“ des Vogelzugs vorgelegt. Kaum jemand verfügte über größere Expertise zu diesem Thema als der vielfach geehrte und ausgezeichnete ehemalige Direktor des Instituts für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ in Wilhelmshaven und heutige Fellow am Max Planck Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell. Seit seiner Promotion im Jahr 1980 war und ist die Vogelzugforschung sein Forschungsschwerpunkt. Und damit ist auch das einzige Manko dieses Buches benannt: Der Mann weiß zu viel.
Aber das wird ernsthaft nur bemängeln, wer leichte Nachtlektüre sucht. Wer sich dagegen verlässlich über den Vogelzug informieren will, hält mit diesem Werk die derzeit umfassendste und übrigens auch für Laien gut lesbare Gesamtdarstellung des weltweiten Vogelzuges in der Hand. Auf mehr als 350 Seiten stellt Bairlein systematisch dar, was es zum Thema darzustellen gibt, illustriert und verdeutlicht durch unzählige Grafiken und Fotos. Ein umfassendes Stichwortregister ermöglicht die Nutzung als Nachschlagewerk.
Franz Bairlein: Das große Buch vom Vogelzug. Eine umfassende Gesamtdarstellung, Aula Verlag 2022, 368 Seiten gebunden, 49,95 Euro
Jungjäger scheinen nach wie vor eine lesende Zielgruppe zu sein. Das jedenfalls muss denken, wer einmal spaßeshalber die Begriffe „Buch“ und „Jungjäger“ in die Internet-Suchmaschine eingibt. Die Liste der einschlägigen Titel ist erstaunlich lang, ganz offensichtlich gibt es einen Markt für „Jungjägerguides“ und „Jäger-Knigges“. Wer also schon ganz kulturpessimistisch befürchtet hat, der jagende Nachwuchs tummele sich heute ausschließlich in Social-Media-Kanälen und auf den Blogs junger Jagdinfluencer*innen, darf wieder hoffen.
Für das hier angezeigte Buch haben sich vier Jägerinnen und Jäger zusammengetan und jeweils ein Kapitel beigesteuert: Alexander Losert, Sportschütze, Schießlehrer und Fachautor, befasst sich mit dem Handwerkszeug des Jägers, angefangen bei der Büchse über blanke Waffen und Zubehör bis zur Waffenaufbewahrung und zum Gebrauchtwaffenkauf. Johannes Maidhof, jagdlicher Autor und Produkttester sowie ehrenamtlicher Naturschützer, schreibt über Zielfernrohre, Nachtsicht- und Wärmebildtechnik sowie über die Blattjagd, außerdem versammelt er abschließend noch einige kurze Statements, beispielsweise zum Brauchtum. Michel Lauer, Ausbildungsleiter einer Jagdschule, thematisiert Jagdarten und jagdliche Einrichtungen sowie Öffentlichkeitsarbeit und den Umgang mit Jagdkritik. Und Carola Rathjens, Jagdautorin und Hundeführerin mit agrarwissenschaftlichem Mastertitel, steuert das Thema „Jagdhunde“ bei und macht sich außerdem noch kurz Gedanken über Frauen auf der Jagd, jagdliche Kontakte, die Grundausstattung des Jägers und die Arbeit nach dem Schuss.
Jedes der reich bebilderten Kapitel beginnt mit „10 Fragen an …“ und endet mit einem Porträt des Autors bzw. der Autorin. Aber damit sind die systematischen Gemeinsamkeiten schon erschöpft. Wenn auch im Einzelnen viel Lesenswertes im Buch steht und es ganz sicher kein Schaden für den Jungjäger und die Jungjägerin ist, es zu lesen, so wirken die vier Kapitel insgesamt etwas zufällig zusammengestellt. Warum beispielsweise Optik und Blattjagd in einem Kapitel zusammengefasst sind, oder „Jäger und ihre Hunde“ und „Frauen bei der Jagd“, erschließt sich dem geneigten Rezensenten nicht.
Alexander Losert, Johannes Maidhof, Carola Rathjens, Michel Lauer: Endlich Jäger! Und nun?, Verlag Müller-Rüschlikon 2021, 191 Seiten gebunden, 24,90 Euro
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