Die verlorenen Zaubersprüche

Robert Macfarlane gilt als einer der Wegbereiter des New Nature Writing. Im deutschen Sprachraum wurde er bekannt mit seinem Buch „Karte der Wildnis“ (erschienen 2015, im Original 2007; Rezension siehe hier). Darin hatte er sich auf die Suche nach den letzten unberührten Flecken Natur gemacht und seine Funde in einfühlsamer und klangvoller Sprache beschrieben. Seitdem sind Titel wie „Alte Wege“, „Im Unterland“ oder „Berge im Kopf“ hinzugekommen, die Macfarlane zu einem modernen Klassiker dieses Genres machen.

Jetzt hat er ein Buch mit „verlorenen Zaubersprüchen“ geschrieben. Dabei ist der Titel etwas irreführend: Es sind darunter nicht wirklich Zaubersprüche versammelt, jedenfalls nicht, wenn man dabei an Harry Potter denkt. Es sind eher Beschwörungsformeln, gedichtartige und bildreiche kleine Geschichten oder Beschreibungen von Pflanzen und Tieren. Oder auch Sprüche, Lieder, Psalmen, Zungenbrecher. Man solle sie, so wird im Vorwort empfohlen, laut vor sich hin sprechen oder singen – um den Verlusten an Lebewesen, Orten und Wörtern unserer Epoche entgegenzuwirken.

Besonders zu würdigen ist die Arbeit der Übersetzerin Daniela Seel. Literarisches Übersetzen ist immer eine schwierige Tätigkeit, und das Übersetzen von Lyrik ganz hohe Kunst. Die „verlorenen Zaubersprüchen“ bergen aber noch eine besondere Komplikation: Die einzelnen Verse beginnen nämlich mit den Einzelbuchstaben der beschworenen Tiere oder Pflanzen, also Verse zur Eiche beispielsweise mit den Buchstaben E, I, C, H und E. Hier deutsche Entsprechungen zum englischen Original gefunden zu haben, dürfte selbst schon an Zauberei grenzen.

Ob man sich mit diesem Buch in den Wald setzt oder es doch lieber auf dem stillen Örtchen liest, ist einerlei. Für letzteres ist es allerdings zu schade: Wie alle Bücher in der Reihe „Naturkunden“ ist es sehr hochwertig ausgestattet, und die wunderbaren Illustrationen von Jackie Morris machen es zur bibliophilen Kostbarkeit.

Robert Macfarlane und Jackie Morris: Die verlorenen Zaubersprüche, Verlag Matthes & Seitz 2021, 120 Seiten gebunden, 22,00 Euro