Vor rund 22 Jahren wurden in der Muskauer Heide die ersten deutschen Wolfswelpen der Neuzeit geboren. Irgendwo in Sachsen, in der Oberlausitz, auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz. Ohne den regional Indigenen zu nahe zu treten, wird man wohl sagen können, dass dieser Ort weit entfernt von jeglicher Aufmerksamkeitsindustrie liegt. Es dauerte eine Weile, bis sich 2005 ein zweites Rudel fand, noch in der Nähe, aber dann breiteten sich die Wölfe rasant aus: Im Monitoringjahr 2020/21 wurden in der Bundesrepublik 157 Rudel und 27 Paare bestätigt. In der Summe dürften hier also derzeit mindestens 1400 Tiere leben, und viele Beobachter gehen davon aus, dass es noch deutlich mehr sind.
Die Literatur zur Rückkehr der Wölfe zeigt ein beinahe ebenso exponentielles Wachstum. Da gibt es einige lesenswerte Bücher, etwa Eckhard Fuhrs „Rückkehr der Wölfe“ oder Klaus Hackländers „Er ist da“, und auch viel esoterischen Unsinn („Wolfsmedizin“, „Krafttier der Seele“, „Das geheime Wissen der Wölfe“). Auch Kurt Kotrschal hat mit „Wolf – Hund – Mensch“ bereits einen interessanten Beitrag geliefert. Jetzt hat der unterdessen emeritierte Professor an der Universität Wien und Mitbegründer des Wolf Science Center Ernstbrunn (WSC) noch ein weiteres Buch vorgelegt.
Kurt Kotrschal gehört zu den weltweit renommiertesten Verhaltensforschern. Über Jahrzehnte verglich er gemeinsam mit seinen KollegInnen am WSC das Wesen von Wölfen und Hunden in Beziehung zum Menschen. Eine Besonderheit dieser vergleichenden Forschungen war und ist, dass hier Wölfe und Hunde gleichermaßen und parallel aufgezogen und erforscht werden. Im Ergebnis dieser Arbeiten mussten schon einige als sicher geglaubte Erkenntnisse über Hunde und Wölfe (und Menschen!) über Bord geworfen werden. Das spannende, knapp 100 Seiten starke Kapitel „Wie Wölfe zu Hunden wurden“ basiert auf diesen Forschungen.
Die beiden anderen Hauptkapitel über die Beziehungsgeschichte Wolf-Mensch und die Rückkehr der Wölfe sind leider von einem unsachlichen und inakzeptablen Jäger-Bashing geprägt, das diese Teile schwer lesbar macht. Jegliche Kritik an der unregulierten Ansiedelung der Wölfe, nicht nur von NutztierhalterInnen, sondern auch von renommierten KollegInnen, behandelt Kotrschal herablassend als Mythos oder Irrglaube, und er weist penetrant auf illegale Wolfstötungen durch JägerInnen hin. Unbedarfte LeserInnen müssen den Eindruck gewinnen, die österreichische und deutsche Jägerschaft sei ganz überwiegend damit beschäftigt, die Überwindung der Biodiversitäts- und Klimakrise zu verhindern. Wenn sie nicht gerade Wölfe meuchelt, züchtet sie Reh-, Rot- und Schwarzwild, aus reiner Trophäengier, wie sich wohl versteht.
Solcherart Unsachlichkeit schadet allerdings Autor und Buch mehr als den Diffamierten. Es mag sein, dass die Situation in Österreich eine andere ist. Für Deutschland sieht die Zahl – nach Angabe des Nabu, der nicht im Verdacht steht, JägerInnen zu verteidigen – so aus: Zwischen 2000 und 2021 wurden 66 Wölfe illegal getötet. Das sind 66 zuviel, keine Frage! Aber angesichts einiger Tausend Wölfe, die in diesen Jahren hier gelebt haben oder noch leben, und angesicht der mehr als 400.000 JägerInnen, ist eine derart undifferenzierte und teilweise ehrabschneidende Pauschalkritik („Ewiggestrige“), wie Kotrschal sie hier übt, schlicht und ergreifend ungerechtfertigt und sachlich falsch.
„Heute ist die Rückkehr der Wildtiere mit Konflikten und aufgeheizten Debatten über Gefahr und Abschuss verbunden“, schreibt der Verlag zum Buch. Genau deswegen hätten man sich von einem Wissenschaftler wie Kurt Kotrschal einen ausgewogeneren Beitrag gewünscht.
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