Texter | Journalist | Schriftsteller

Monat: November 2019

Rufe der Wildnis

Und noch ein Buch einer jungen Frau, die Jägerin wird! Wie es scheint, entdecken die Verlage nach und nach Thema und Klientel. Nach Pauline de Bok und Antje Joel (deren Bücher bereits an dieser Stelle rezensiert worden sind) erzählt jetzt eine junge Amerikanerin ihren Weg zu Jagd. Aber anders als de Bok schreibt Lily Raff McCaulou das nicht als existenzielle Selbsterfahrung, und anders als Joel nicht als psychotherapeutisches Projekt. Die Journalistin tut das sachlicher, reflektierter, hintergründiger und damit auch verallgemeinerbarer.

Raff McCaulou zieht berufsbedingt aus New York ins ländliche Oregon. Hier lernt sie einen Mann und mit ihm das Fliegenfischen kennen und lieben, kommt ins Gespräch mit Jägern, beginnt sich für Jagd und Naturschutz zu interessieren, besucht gemeinsam mit Jugendlichen einen Grundkurs zum Umgang mit Schusswaffen (was Absolventen der deutschen Jägerprüfung nur ungläubig staunen lässt), kauft schließlich eine erste Waffe und Abschusslizenzen und hat im weiteren Verlauf auch Waidmannsheil. Für Noch-nicht-Jäger und -Jägerinnen hilfreich sind die eingestreuten Erläuterungen und Hintergrundinformationen, etwa über den Unterschied von Flinte und Büchse oder statistische Daten rund um Jagd, Natur und Gesellschaft.

Sehr nachvollziehbar schildert die Autorin ihre Zweifel und Beweggründe, sie reflektiert Fragen und Gedanken, die sich ihr auf dem Weg zur Jägerin auftun und nicht einfach wegwischen lassen wie die Mücken beim Ansitz: Muss sie angesichts des massiven Missbrauchs von Schusswaffen nicht Skrupel haben, selbst welche zu besitzen? Ist das Töten eines Tieres ethisch zu rechtfertigen? Und wie steht es um den Verzehr von Fleisch angesichts von Massentierhaltung und Klimawandel? Dabei zieht sich ein zentraler Gedanke durch das gesamte Buch: Nur wenn wir Jäger auch echte Naturschützer sind, wird sich die Jagd gegen alle Kritik und Anfeindungen auf lange Sicht behaupten können.

Lily Raff McCaulou: Rufe der Wildnis. Warum ich zur Jägerin wurde, erschienen 2018 im Franckh-Kosmos Verlag, 336 Seiten, 25,00 Euro

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Die Herrscher der Lüfte und ich

Sandra Jung ist wahrscheinlich vielen Jägerinnen und Jägern bekannt. Zumindest jenen, die eine Affinität zu neuen Medien haben. Denn sie ist umtriebig auf YouTube, Instagram und Facebook unterwegs, bewirbt edle Jagdoptik und allerlei anderes rund um die Jagd und dabei nicht zuletzt immer auch sich selbst: Jungjägerin Sandra Jung, Falknerin Sandra Jung. Auch jene Fernsehzuschauer, die noch zu festen Zeiten ihre Empfangsgeräte einschalten, hatten schon Gelegenheiten, die überaus telegene 27jährige kennenzulernen, etwa in der NDR-Talkshow.

Die Einladung hatte sie ihrem neu erschienen Buch zu verdanken. Offensichtlich wirkt die überraschende Mischung aus junger Frau und altem Jagdhandwerk auch auf Fernsehmacher attraktiv, denn ansonsten sieht man Falkner und Jäger ja eher selten zu den guten Sendezeiten. Der Titel verrät den autobiografischen Charakter des Buches. Präziser müsste es vielleicht ICH und die Herrscher der Lüfte heißen, mit starker Betonung auf ICH, denn die Coming-of-Age-Geschichte und die Autorin selbst stehen sehr deutlich im Zentrum. Dabei sprüht aber ihre Liebe zu Adlern, Bussarden, Falken und Eulen und ihre Begeisterung für das Falknerdasein förmlich aus jeder Zeile. 

Die Zeitspanne reicht über rund 10 Jahre, von Sandra Jungs erster Berührung mit Greifvögeln über Jäger- und Falknerprüfung bis zur Gründung einer eigenen Falknerei. Und es ist wirklich beeindruckend, was sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Ben da auf Burg Greifenstein in Thüringen auf die Beine oder vielmehr zwischen die Burgmauern gestellt hat: Gewissermaßen aus dem Nichts, mit nicht mehr in der Hinterhand als der ideellen Unterstützung von Eltern und Freunden, ist aus der anfänglichen Träumerei erst eine Geschäftsidee und dann ein veritables Unternehmen mit täglicher Flugshow geworden. Sprachlich ist das Buch sicher kein Anwärter auf den Uwe-Johnson-Preis, aber es macht große Lust auf die alte Kunst, mit Vögeln zu jagen. 

Sandra Jung: Die Herrscher der Lüfte und ich. Mein Leben mit Greifvögeln, erschienen 2019 im Ullstein Verlag, 231 Seiten, broschiert, 14,99 Euro

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Wir sind Geschöpfe des Waldes

Der 1942 in Sachsen geborene Wolf-Dieter Storl bezeichnet sich selbst als Kulturanthropologe und Ethnobotaniker. Mit 11 Jahren wanderten seine Eltern mit ihm in die USA aus, wo er später studierte und erste Lehraufträge erhielt. Die meiste Zeit, so schreibt er selbst auf seiner Internetseite www.storl.de, verbrachte er allerdings in der Waldwildnis. Heute lebt er mit seiner Familie auf einem Einödhof im Allgäu – und schreibt und schreibt und schreibt. Aktuell weist der Shop seiner Internetseite nicht weniger als 33 Buchtitel aus, in denen es beispielsweise um Zauberpflanzen, schamanische Rituale oder Naturmedizin geht. Manche davon sind echte Bestseller.

Auch sein neues Buch „Wir sind Geschöpfe des Waldes“ dürfte sich gut verkaufen. Immerhin ist es in einer Zeit erschienen, in der Menschen nicht nur im Wald spazieren gehen, sondern gleich darin baden (siehe dazu meine Kolumne zum Thema). Auf dem Titel sieht man den Autor wie er leibt und lebt: Ohne Weiteres könnte er in einem Mystery-Märchen nach Art von „Der Herr der Ringe“ den Zauberer geben. In der Rechten hält er den Zauberstab, in der Linken eine Abwurfstange vom Rotwild. Jagdrechtlich betrachtet zeigt das Bild also höchstwahrscheinlich den Autor beim Wildern, aber wahrscheinlich muss man es schamanisch betrachten.

Wie auch immer. Auf mehr als 350 Seiten misst Storl das Thema „Mensch und Wald“ aus, und zwar historisch und geografisch, botanisch und (wild)biologisch, mythologisch, anthropologisch und astrologisch. Da geht es beispielsweise um die Evolution der Waldlebewesen, das Weltbild von Steinzeitmenschen und indigenen Waldvölkern (Kelten u.a.), den Wald in Märchen und als Bindeglied zwischen Kosmos und Erde oder die Angst vor dem Wald als eine moderne Form des entfremdeten Bewusstseins. Es wird eine ungeheure Fülle an Wissen, Geschichten, Beschreibungen, Fakten und Daten vor den Leserinnen und Lesern ausgebreitet.

Genau das könnte auch das Problem des Buches sein. Ich schreibe hier ausnahmsweise mal in der ersten Person Singular: Ich habe das Buch mit Interesse und Staunen gelesen. Vieles darin würde ich „esoterisch“ nennen (auch wenn „Esoteriker“ diese Zuschreibung üblicherweise weit von sich weisen und auch Wolf-Dieter Storl sich vermutlich nicht in dieser Ecke sehen möchte). Wer da Berührungsängste hat, sollte nicht zu diesem Buch greifen! Ich persönlich habe damit aber ein anderes Problem: Es macht mich höchst skeptisch, wenn ein einzelner Autor sich als allwissend präsentiert und beherzt kreuz und quer durch Themen und Disziplinen streift. Zumal dann, wenn er mehrere Bücher pro Jahr vorlegt.

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Pirschgang auf Abwegen (IV)

Die Kolumne auf volkerpesch.de

Die Internationale Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation hält den Verzehr des roten Muskelfleischs von Säugetieren für krebserregend. So ging die Meldung vor zwei oder drei Jahren in die Welt hinaus. Und so ploppt sie seitdem immer wieder mal auf, besonders häufig in den Medien missionarischer Vegetarier oder Veganer. Um die Fleischverächter an dieser Stelle gleich vor Bluthochdruck und dessen schlimmen Folgen zu bewahren, sage ich es in aller Deutlichkeit: Wer kein Fleisch essen möchte, warum auch immer, soll es meinethalben gerne lassen – chacun à son goût, sagt der Franzose, und die Französin dürfte ihm da beipflichten.

Die Warnung gilt besonders für Fleisch in verarbeiteter Form, weniger für Steak oder Braten. Es geht also um die Wurst! Und zu der haben ja gerade wir Deutsche eine besonders enge Beziehung. Unsere Wurst ist Distinktionsmerkmal (bayerische Weißwurst!) und Kulturerbe (rheinischer Flönz!). Über 1500 Sorten soll es hierzulande geben. Aber wo hört eigentlich Geschmacksrichtung auf und wo fängt Sorte an? Wer hat all die Würste probiert und gezählt? Und wieso lebt der noch?

Vermutlich deswegen, weil Zahlen trügerische Gesellen sind. Genau besehen ist die Einschätzung der WHO nämlich weit weniger dramatisch. Wer zu viel rotes, verarbeitetes Fleisch isst, so der Tenor, erhöht geringfügig das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Darauf deuten erste statistische Korrelationen hin, wobei die Zusammenhänge noch nicht ganz erforscht sind. Ziemlich sicher ließe sich das gleiche auch für Tofuschnitzel und Falafeldöner nachweisen, statistisch, meine ich. Wer zu viel verarbeitetes Soja oder Produkte aus Kichererbsenmehl isst, lautete die Meldung dann, erhöht geringfügig das Risiko, an Krebs zu erkranken. 

Doch wie viel ist eigentlich zu viel? Als Freund der genussvollen Mäßigung empfehle ich an dieser Stelle, sicherheitshalber auf die bunte Grillfleischmischung vom Discounter und Bärchenwurst aus Wanne-Eickel zu verzichten. Essen Sie stattdessen lieber Obst, Gemüse und Nüsse! Aber legen Sie sich gelegentlich beherzt ein paar Medaillons aus der Damwildkeule auf den Grill, garen Sie den Rehrücken zartrosa und würzen Sie ihre grobe Bratwurst vom Schwarzwild nach Art einer lombardischen Salsiccia. Das ist gesund und macht glücklich.

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