Texter | Journalist | Schriftsteller

Monat: Juli 2020

Pirschgang auf Abwegen (VII)

Die Kolumne auf volkerpesch.de

Diese Schlagzeile müffelt etwas: „Wissenschaftler entwickeln Kuhtoilette“ ist der Leitartikel der Wirtschaftsseite überschrieben. Die üblichen Verbrauchertipps und Börsenberichte überblättere ich normalerweise, aber das weckt nun doch meine Aufmerksamkeit. Sofort erscheint vor meinem inneren Auge das Bild eines mächtigen Charolais-Bullen in der Hocke. Pressend. Schwarzbunte Mutterkühe tauschen während der Verrichtung durch die Trennwände muhend Neuigkeiten aus. Eine selbstverliebte Färse vom Alten Angler Rotvieh will gar nicht mehr weg vom Spiegel. Und dann die Kuhtoilette selbst! Die dürfte anatomisch (wohin mit dem Schwanz?) und statisch eine Herausforderung für jeden Industriedesigner sein.

Ich beginne zu lesen und werde baff enttäuscht: Die vermeintliche Kuhtoilette als solche ist wenig innovativ, eigentlich nur eine Latrine mit Eingangstür und Bodenablauf. Die Tiere lassen es raus wie evolutionär gewohnt. Ältere werden sich erinnern: So sahen die Toiletten auf französischen Campingplätzen noch in den 80er Jahren aus. Es geht den Verhaltensbiologen des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie in Dummerstorf bei Rostock auch gar nicht um die Toilette als solche. Vielmehr bringen sie als Tiertrainer Kälbern bei, sich gezielt und ausschließlich an diesem Ort zu lösen. Wenn die Viecher das dem Forschungsdesign entsprechend tun, bekommen sie ein Leckerli. Wenn nicht, eine kalte Brause. Iwan Petrowitsch Pawlow grüßt freudig aus dem Jenseits.

Wer sich jetzt daran erinnert, dass die Dummerstorfer im vergangenen Jahr ihren Leibniz-Status verlieren sollten, weil Zweifel an der Exzellenz des Instituts laut geworden waren, ist voll auf dem Holzweg: Es geht hier um gleich zwei der großen Gegenwartsthemen, nämlich Tierwohl und Klimarettung (also ausnahmsweise nicht um Corona). Rindviecher mit anständigen Hygienevorstellungen und entsprechendem Verhalten sind psychisch insgesamt stabiler und leiden weniger unter Klauen- und Eutererkrankungen. Und die ordnungsgemäße Entsorgung der Fäkalien, fein getrennt nach Urin und Kot, verringert die Ammoniakemmissionen und erfüllt somit eine EU-Richtlinie, die bis zum Jahr 2030 umgesetzt sein muss.

Inzwischen können die Forscher die zentrale Frage mit einem klaren Ja beantworten: Ja, Kühe lassen sich auf ein kontrolliertes Ausscheidungsverhalten trainieren. Das ist dem Artikel zufolge das Ergebnis der ersten Studie, die auf der Auswertung von bislang fünf Durchgängen mit jeweils acht bis zehn Kälbern beruht. Zuletzt, wird der stolze Projektleiter zitiert, hätten die Kälber „überwiegend“ die Toilette benutzt. 

Die alte Bauernweisheit, dass die Kuh kackt wohin sie will, ist damit also widerlegt. Jedenfalls für den überwiegenden Teil der ersten 40 bis 50 Probanden. Ob und inwieweit sich diese Erkenntnis auf die rund 990 Millionen Rinder, die aktuell weltweit gehalten werden, auswirken wird, bleibt abzuwarten. Vielleicht könnte es auf mittlere Sicht den anhaltenden Rückgang der Beschäftigtenzahlen in der Landwirtschaft ausgleichen: Der Bedarf an Kuhtoilettentrainern dürfte in Zukunft riesig sein.

Stallschwalben

Schon einige Jahre hält Ulrike Siegel eine eigene belletristische Nische besetzt, und das überaus erfolgreich: „Bauerntöchter erzählen“. Den Anfang machte die Bauerntöchter-Trilogie mit autobiografischen Erzählungen, die mittlerweile sogar im Schmuckschuber zu haben ist. Es folgten Bücher mit Erzählungen von Frauen, die Höfe verlassen, und solchen, die in Höfe eingeheiratet haben, außerdem von Bauerntöchtern auf den Spuren ihrer Mütter, prominenten Bauernkindern und Bauernsöhnen. 2018 gab es sogar einen Jubiläumsband mit den besten Geschichten aus 15 Jahren „Bauerntöchter erzählen“.

Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Autorin nun auch ein Buch mit eigenen autobiografischen Geschichten vorgelegt hat. Denn Ulrike Siegel ist natürlich selbst eine Bauerntochter, geboren 1961 auf dem elterlichen Hof in Baden-Württemberg. Dort ist sie aufgewachsen, dort arbeitete sie auch nach der Schulzeit, erwarb Meistertitel in Landwirtschaft und ländlicher Hauswirtschaft, studierte dann Agrarwissenschaften und schloss längere Auslandsaufenthalte in Lateinamerika, Afrika und Indien an. Über viele Jahre war sie Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Bauernwerks in Württemberg.

Die titelgebenden „Stallschwalben“ stehen für die Sehnsucht der jungen Frau, mit den Vögeln gen Süden zu ziehen. Einfach aufbrechen, die enge Welt verlassen, anstelle des kalten und kargen Winter ferne Welten erkunden – davon konnte sie nur träumen. Denn das Leben auf den Höfen in den 60er und 70er Jahren war arbeits- und entbehrungsreich, auch für Bauerntöchter. Die waren von klein auf eingebunden in Ernte, Versorgung des Viehs und häusliche Verrichtungen. In 22 kurzen Erzählungen nimmt Ulrike Siegel ihre Leserinnen und Leser mit in diese Zeit und setzt aus zahllosen Anekdoten und Erinnerungen ein authentisches Bild zusammen.  Das ist alltagsgeschichtlich interessant, meist durchaus kurzweilig und stellenweise auch recht nostalgisch. Wer es gelesen hat, wünscht sich, selbst Bauerntochter gewesen zu sein, allen Entbehrungen zum Trotze.

Ulrike Siegel: Stallschwalben. Autobiografische Geschichten einer Bauerntochter, erschienen 2019 bei LV.Buch im Landwirtschaftsverlag, 192 Seiten, 14,00 Euro

Erfolgreicher Jagdhund

Bücher über Welpenerziehung gibt es unzählige. Die tragen verheißungsvolle Titel wie „Die große Welpenschule“, „Das 8-Wochen-Programm“ oder „Spaßschule für Hunde“, und unter den Autorinnen und Autoren ist manch ein TV-Promi. Etwas schmaler – aber auch deutlich gehaltvoller – wird das Angebot, wenn es auf die jagdliche Erziehung und Ausbildung begrenzt wird. Gleichwohl bleibt die Auswahl groß. Jeder Verlag, der in dem Segment aktiv ist, hat einen oder mehrere Titel auf seiner Liste. 

Neu bei Kosmos ist ein Buch von Stefanie Blawe und Claudia Fries. Beide sind zertifizierte und erfahrene (Jagd)Hundeausbilderinnen mit eigenen Hundeschulen. In der Praxis, so schreiben sie im Vorwort, haben sie immer wieder mit Hundehaltern zu tun, die ihre Hunde bis dahin mit fragwürdigen Methoden und geringem Erfolg ausgebildet haben. Methoden, die ihnen von vermeintlichen Fachleuten als einzig mögliche „Standard-Lösung“ angeboten worden waren. Dagegen stellen die Autorinnen keinen neuen ultimativ gültigen Weg, sondern betonen die Individualität jedes Mensch-Hund-Gespanns, die auch individuelle Ausbildungsmethoden erfordere.

So setzen die beiden beispielsweise nicht ausschließlich auf die Methode der „positiven Bestärkung“, selbst wenn eine belohnungsorientierte Erziehung immer erste Wahl ist. Aber wer schon einmal vergeblich mit dem Leckerli gewedelt hat, während der Hund einer selbstbelohnenden Unart nachgegangen ist, weiß um die Problematik. Manchmal ist eben auch Bestrafung die zielführende Methode, wobei Strafe hier nichts mit Gewalt oder Aggression gegen den Welpen zu tun hat. Das Buch ist insgesamt praxisorientiert und anschaulich geschrieben und enthält viele Tipps und Anregungen. Nebenbei räumen die beiden auch mit sorgsam gehegten Fehlinformationen auf, etwa der Annahme, es gebe sowas wie einen allgemeinen Welpenschutz.

Stefanie Blawe und Claudia Fries: Der Weg zum erfolgreichen Jagdhund. Von der Welpenerziehung zum fertigen Helfer, erschienen 2019 im Franckh-Kosmos Verlag, 192 Seiten, gebunden, 32,00 Euro

Wald

Mit den optisch und haptisch ansprechenden Bänden der Reihe NaturZeit bedient der Kosmos-Verlag die Nachfrage nach populärwissenschaftlichen Natur-Sachbüchern – gebunden in Halbleinen und gedruckt auf einem offenen, matten Ökopapier. Das macht sie zu beliebten Geschenken. In einem aktuellen Band wird der Wald in den Fokus gerückt, was angesichts des aktuellen Hypes um Waldbaden oder Waldkindergärten und vor dem Hintergrund der problematischen Situation unserer Wälder durch Trockenheit und Schädlinge wenig verwunderlich ist. Die Umweltjournalistin Adriane Lochner erzählt darin von der Beziehung zwischen Mensch und Wald und nimmt ihre Leserinnen und Leser mit auf einen Waldspaziergang durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 

Tatsächlich streift das Buch eine Vielzahl historischer, biologischer und wirtschaftlicher Aspekte, naturalistisch illustriert durch Zeichnungen von Paschalis Dougalis. Es geht beispielsweise um den Wald in Kunst und Mythologie, die Genese des Nachhaltigkeitsbegriffs, die Pflanzen- und Tierwelt, typische Waldformationen in Europa oder moderne Forstwirtschaft. Insgesamt zeigt sich die Autorin fachlich gut informiert und spart auch nicht mit sachlicher Kritik an dem einen oder anderen Baumflüsterer. Allerdings hangelt sie sich von einem Unterthema zum nächsten wie weiland Tarzan von Liane zu Liane. Auch wenn das durchaus gut und verständlich geschrieben ist, wäre hier weniger vielleicht mehr gewesen.

Adriane Lochner: Wald. Was er uns schenkt, wie wir ihn prägen, erschienen 2019 im Franckh-Kosmos Verlag, 208 Seiten, gebunden, 14,99 Euro

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