Durch das Fenster zur Straße kamen nur eierschalenfarbene Taxis und betrunkene Punks in Anblick. Wahrscheinlich hatte ich deswegen die Karte von Schottland an die Wand meines Kölner Studentenzimmers gepinnt. Der Norden, die Highlands, die zerklüfteten Küsten – das waren echte Sehnsuchtsorte für den dünnbesohlten Großstadtbewohner. Wild und ursprünglich und sehr weit weg vom Zülpicher Platz.

Dabei dachte ich seinerzeit nicht unbedingt an die Jagd, nicht an Rothirsche oder Moorhühner. Vielmehr sah ich mich als einsamen Wanderer in endloser Weite. Wobei Wanderer nicht das richtige Wort ist: Trekking wurde das seinerzeit genannt und war total hip. Wahrscheinlich hätte ich mich von Kopf bis Fuß in Jack Wolfskin-Klamotten gehüllt, wenn ich denn tatsächlich aufgebrochen wäre. Das ist mir heute, bald 30 Jahre später, ein bisschen peinlich. 

Den alten Traum von Schottland hat mir jetzt das wunderbare Buch Karte der Wildnis von Robert Macfarlane wieder in Erinnerung gerufen. Macfarlane, der in Cambridge Literatur lehrt, ist auf die Suche nach der wilden, rauen, ursprünglichen Natur gegangen. Aus seinen Wanderungen und Erkundungen in Großbritannien und Irland hat er eine „Prosakarte der Wildnis“ gezeichnet, hat eine grandiose Collage zusammengefügt aus Reiseberichten und Landschaftsbeschreibungen, historischen und naturkundlichen Exkursionen, philosophischen Gedanken und literarischen Seitensprüngen. So ein Buch hätte ich damals am Zülpicher Platz gebraucht, anstelle der zweidimensionalen Landkarte!

Robert Macfarlane, Karte  der Wildnis, erschienen 2015 in der Reihe Naturkunden bei Matthes & Seitz, 303 Seiten gebunden, 34,- Euro