Texter | Journalist | Schriftsteller

Monat: Oktober 2019

Landwirtschaft am Pranger

Die Medien berichten heute über eine Sternfahrt der Landwirte aus Mecklenburg-Vorpommern: Über 1000 Protestierende mit rund 550 Schleppern sind gestern zu einer Kundgebung in den Rostocker Stadthafen gekommen (Bild: Georg Scharnweber, SVZ). Ihr Protest richtete sich gegen das sogenannte Agrarpaket, mit dem die Bundesregierung einen verspäteten Schnellschuss in die Debatten um Klima-, Tier- und Artenschutz gesemmelt hat. Bundesweit fanden zeitgleich ähnliche Protestaktionen statt.

Das ist ein beeindruckendes Zeichen einer Branche am Pranger. Die Landwirte wollen nicht länger die „Prügelknaben der Nation“ sein, so die Organisatoren. Das kann man verstehen. Wenn dann allerdings gewarnt wird, das Agrarpaket bedrohe das „bäuerliche Idyll“, lasse „Bauernhöfe“ und „kleine Familienbetriebe“ sterben, bald gebe es keine „Kühe auf der Weide“ mehr und keine „regionalen Lebensmittel“ in „Hofläden“ – dann reibt man sich doch verwundert die Augen.

Bäuerliches Idyll? Fast 90 % der Betriebe in MV bewirtschaften mehr als 200 Ha Land, über 40 % sogar mehr als 1000 ha. Im Schnitt arbeiten darauf nur 1,2 Vollbeschäftigte pro 100 ha. In der Tierhaltung finden sich durchschnittlich 270 Rinder und 2155 Schweine. Betriebe mit ökologischem Landbau machen nur rund 16 % aus und sind überwiegend auch keine Kleinbetriebe (Zahlen aus der Agrarstrukturerhebung 2016). Das als „bäuerliches Idyll“ zu bezeichnen ist wohl eine contradictio in adjecto, ein innerer Widerspruch im Begriff.

Aber nichtsdestotrotz ist das Anliegen der Landwirte verständlich! Die klima-, tier- und artenschutzbesorgten Verbraucher zeigen nämlich mehrheitlich keine Bereitschaft, für Weißmehlprodukte, Milch oder Fleisch angemessene Preise zu zahlen. Und die (nationale und internationale) Politik versäumt es seit Jahren, hier besonnen steuernd einzugreifen. Die Landwirte haben in den vergangenen Jahren schon erhebliche Anstrengungen für mehr Tierwohl in den Ställen und weniger Gifte auf den Äckern unternommen, was selten irgendwo Erwähnung und nie Anerkennung findet. Und es ist den Betrieben kaum zuzumuten, in immer schnellerer Folge immer neue Sauen durch die Dörfer zu jagen. Sonst kommen unsere Lebensmittel tatsächlich irgendwann aus Regionen dieser Welt, in der es für Tier- oder Artenschutz nicht einmal Worte gibt.

The Wonderful Wild

Es ist mittlerweile fast zu einem eigenen Genre der Belletristik geworden: Frauen schreiben über ihre tiefe Verbundenheit zu Tieren und darüber, was das mit ihnen tief im Innersten macht. Dabei sind die Grenzen zu Mystik und Esoterik oft durchlässig. Sollten an dieser Stelle lesende Männer voll hämischer Vorfreude auflachen, sei zur Vorsicht geraten: es gibt auch ganz eigene Männer-Genres in der Belletristik, auf die Mann nicht unbedingt stolz sein kann!

Aber es geht mir an dieser Stelle gar nicht um Frauen oder Männer, sondern um Bücher wie Jane Godalls My Life with the Chimpanzees (der Klassiker), Tanja Askanis Wolfsspuren – Die Frau, die mit den Wölfen lebt, Gudrun Pflügers Wolfsspirit – Meine Geschichte von Wölfen und Wundern, Sandra Jungs Die Herrscher der Lüfte und ich, Elli Radingers Die Weisheit alter Hunde – die Beispiele ließen sich vermehren.

Relativ neu in diesem Segment und schon Bestsellerautorin ist Gesa Neitzel. In ihrem 2016 erschienenen Buch Frühstück mit Elefanten beschreibt sie ihre Ausbildung zur Safari-Rangerin in Afrika, mithin ein Leben ohne Internet und fließendem Wasser, dafür mit allerlei krabbelndem Getier und den Big Five. Im Kern ist es die Coming of Age-Geschichte einer jungen Frau, die dem stressigen Alltag als Berliner Fernsehredakteurin entflieht und in der Wildnis ihre Aufgabe und Erfüllung findet. Das ist durchaus unterhaltsam.

Mit „The Wonderful Wild“ ist jetzt gewissermaßen die Fortsetzung erschienen. Ging es im ersten Buch noch in erster Linie um die äußeren Begebenheiten, wendet sich das zweite allerdings der Innenwelt der Autorin zu. Das macht schon der Untertitel deutlich: „Was ich von Afrikas Wildnis für das Leben lerne“, lautet der, und spätestens da schrillen alle Alarmglocken.

Tatsächlich hat Gesa Neitzel ihre eigenen Erfahrungen zu einer Art Ratgeber zusammengerührt. Die 1987 geborenen Autorin erklärt uns nun, was in unserem Leben alles schief läuft, warum das so ist, wie sie das in der Wildnis erkannt hat und – natürlich – wie wir das ändern können. Nämlich im Kern so: Wenn wir nur auf die Stimme der Wildnis in uns hören, werden wir unseren authentischen Rhythmus finden. Oder so ähnlich.

Man staunt über die Selbstgewissheit der jungen Frau, ihren Mut zur Wissenslücke und ihr Pathos der Erleuchtung – und wünscht sich vergeblich ein wenig kritische Distanz, Ironie oder Augenzwinkern. Von Realismus gar nicht zu reden.

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Sarah Wieners Bienenleben

Ach, diese sympathische Frau Wiener! Wer kennt sie nicht, die charmante Österreicherin mit Berliner Wurzeln, Tochter des Schriftstellers und Gastronomen Oswald Wiener. Köchin und Betreiberin von Restaurants und diversen anderen Unternehmungen der Gastro-Branche. Fernsehfrau („Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener“), Sachbuchautorin („Kochen kann jeder“), Botschafterin für biologische Vielfalt, Begründerin der Sarah-Wiener-Stiftung, mit der sie Kinder für gute Ernährung begeistert, Abgeordnete im Europaparlament. Engagiert für artgerechte Tierhaltung, gegen Gentechnik, für Biodiversität, gegen Prostitution und für die Integration von Flüchtlingen. Jetzt imkert sie auch noch und – wie könnte es anders sein? – hat sogleich ein Buch darüber geschrieben. 

Am Anfang stand eine Folge der Fernsehsendung „Sarah Wieners erste Wahl“ aus dem Jahr 2013 (zu finden bei YouTube). In dieser zehnteiligen Serie begab sie sich auf die Suche nach den Ursprüngen unserer Grundnahrungsmittel und traf Produzenten, die ökologisch und nachhaltig wirtschaften. Für die Folge über Honig besuchte sie die Imkerei Fischermühle in Baden-Württemberg, die eng mit dem ökologischen Imkerverband Mellifera e.V. verbunden ist. Hier brachte ihr Imkermeister Norbert Poeplau die Grundlagen der wesensgemäßen Imkerei nahe  und begeisterte sie dafür. Und als sie 2015 gemeinsam mit Partnern ein 800-Hektar-Gut in der Uckermark gekauft hatte, lag der Gedanke an eigene Bienenvölker nahe. Sieben an der Zahl schaffte sie an und wurde zur leidenschaftlichen Imkerin.  

Im Buch erzählt sie das heiter und unverkrampft, berichtet über ihre imkerlichen Anfänge, spart auch Fehler und Misserfolge nicht aus und vermischt das mit autobiografischen Anekdoten. Dabei gelingt es ihr, gewissermaßen „im Vorbeigehen“ die Biologie der Honigbienen und die Grundlagen der (wesensgemäßen) Imkerei darzustellen. Leserinnen und Leser erfahren viel Wissenswertes über die natürliche Lebensweise der Bienen, über die unterschiedlichen Beutentypen, über die Stadien eines Bienenlebens und die Aufgabenverteilung innerhalb des Biens, über wissenschaftliche Erkenntnisse und das Handwerk des Imkerns, über Bienenkrankheiten und deren Behandlung sowie über die heilsame Wirkung der Bienenprodukte.

Etwas nervig ist die stetige Vermenschlichung der Bienen durch die Autorin. Selbstredend haben die Bienenvölker Namen. Und laufend „denkt“ eine Biene dies und das oder „sagt sich“ etwas. Das mag als literarisches Stilmittel noch durchgehen, wenngleich es doch eher ein Mittel für Kinderbücher wäre. Schwieriger wird es, wenn die Bienen als vorbildliche Solidargemeinschaft und modellhafte Demokratie herhalten sollen. Diese Gedanken finden sich zwar in vielen Bienen-Büchern, das macht sie aber nicht richtiger. Denn ein Bienenvolk ist das gerade Gegenteil davon: die einzelne Biene zählt nichts, das Überleben des Bien alles. Die Natur ist auch für Bienen kein Ponyhof.

Fazit: Wer sich schon mit Bienen und Imkerei beschäftigt hat, wird hier kaum etwas Neues lesen, das aber auf sehr unterhaltsame Weise. Das ist kein Minuspunkt, denn gestandene Imker und Apidologen sind nicht die Zielgruppen des Buchs. Es soll vielmehr – und wird das auch, soviel darf prophezeit werden – solchen Menschen einen Zugang zur Sache eröffnen, die sich bislang noch nicht damit befasst haben. Und sie vielleicht sogar dazu anregen, selbst Bienen zu halten. Hoffentlich tun die das dann mit der gleichen Begeisterung und Hingabe wie die sympathische Frau Wiener.

Sarah Wiener: Bienenleben. Vom Glück, Teil der Natur zu sein, 24 Abbildungen, Aufbau Verlag 2019, 288 Seiten, gebunden, 22,00 Euro

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