Texter | Journalist | Schriftsteller

Monat: April 2023

Was die Dörfer einst zusammenhielt

Cover Was die Dörfer einst zusammenhielt

Ulrike Siegel verdanken wir das Genre der Bauerntöchter-Geschichten. Am Anfang stand ihre erfolgreiche Trilogie mit autobiografischen Erzählungen. Und weil man Wellen reiten muss, solange sie nicht gebrochen sind, folgten unter anderem Geschichten von Frauen, die Höfe verlassen, und solchen, die in Höfe eingeheiratet haben, außerdem wandelten Bauerntöchter auf den Spuren ihrer Mütter. Auch prominente Bauernkinder fanden sich schon zwischen zwei Buchdeckeln wieder. 

Jetzt hat Ulrike Siegel ein Buch herausgegeben, in dem 19 Frauen und Männer Geschichten aus ihrer Kindheit in den 1950er- und 60er-Jahren erzählen. Es sind Spitzlichter auf eine dörfliche Heimat zwischen Bayern und Schleswig-Holstein, Sachsen und Nordrhein-Westphalen. Ganz subjektive Erinnerungen an Personen, Rollenmuster und Gewohnheiten, an Strukturen und Prozesse, an Arbeits- und Lebenswelten auf dem Lande. Das Buch leistet keine systematische Darstellung der Dorfkultur, aber aus der Summe der Einzelerzählungen erwächst ein Gesamtbild eines Lebens „zwischen Idylle, Enge und Engagement“ (Klappentext).

Die Beiträge sind überwiegend lesenswert und unterhaltsam, beschwören Bilder und Erinnerungen herauf und machen deutlich, wie radikal sich der ländliche Raum in nur wenigen Jahrzehnten gewandelt hat. Naturgemäß tappen einige der Autorinnen und Autoren in die „Früher-war-alles-besser“-Falle, wie sollte es auch anders sein, wenn man Menschen nach ihrer Kindheit befragt. Es ist schließlich kein historisches Sachbuch. Aber man hätte sich doch eine zusammenfassende Einordnung, eine Art Synthese gewünscht.

Ulrike Siegel: Was die Dörfer einst zusammenhielt. Gesichter und Geschichten aus einer vergangenen Zeit, LV.Buch 2022, 224 Seiten Broschur, 18,00 Euro

Grundwissen Vogelbestimmung

Cover Grundwissen Vogelbestimmung

Wer sich für Vögel interessiert, wird mit der Zeit eine beachtliche Sammlung von Bestimmungsbüchern aufgebaut haben. Längst ist vergessen, woher der vergilbte „Taschenatlas der Vögel“ stammt oder das alte „Welcher Vogel ist das?“ Das zerlesene Bestimmungsbuch „aller Arten Europas“ hat man sich vielleicht irgendwann selbst gekauft, ebenso wie die Bildbände und Fachbücher über Greife, Eulen, Gänse … Und mittlerweile gibt es auch wirklich gute Apps für das Smartphone. Warum also sollte man sich im Jahr 2023 ein dickes und schweres Buch mit dem „Grundwissen Vogelbestimmung“ anschaffen, noch dazu für 34,95 Euro?

Die Antwort lautet: Weil es wirklich nützlich ist. Die dritte, vollständig bearbeitete und erweiterte Auflage des Werks ordnet das Grundwissen in zwei Hauptteile. Die ersten 12 Kapitel führen in die Welt der Vogelbeobachtung ein, angefangen bei praktischen Ausrüstungstipps über grundlegendes Wissen zu Biologie, Verhalten und Taxonomie der Vögel bis hin zur kritischen Betrachtung des Naturschutzes in Deutschland; vielleicht ist der eine oder andere Tipp überflüssig (am Stausee Müsliriegel nicht vergessen!), aber insgesamt ist da wirklich viel Lesenswertes zu finden, auch für vogelkundlich Vorgebildete. 

Der große Unterschied zu anderen Büchern ist das 13. und mit Abstand längste Kapitel: Das stellt die mitteleuropäischen Vogelfamilien vor, zeigt deren gemeinsame Merkmale und die Unterschiede zu ähnlichen Familien und beschreibt die jeweils wichtigsten Vertreter im Vergleich. Wer also, um ein Beispiel zu geben, einen Wasservogel beobachtet, wird ihn möglicherweise als Entenverwandten einstufen, dann den Schwänen, Gänsen, Enten oder Sägern zuordnen und schließlich aus den Gemeinsamkeiten und Unterschieden die konkrete Art bestimmen. Dabei helfen zahlreiche Fotos und Grafiken, und mehrere Verzeichnisse und Register erhöhen den Nutzen als Nachschlagewerk.

Christoph Moning, Thomas Griesohn-Pflieger, Michael Horn: Grundwissen Vogelbestimmung. Vorbereitung, Planung und Strategie der erfolgreichen Vogelbeobachtung, Quelle & Meyer Verlag, 3. Aufl. 2022, 590 Seiten gebunden, 34,95 Euro

Vom Jagen in den Bergen

Cover Vom Jagen in den Bergen

Vielleicht lassen sich die Verfasser jagdlicher Literatur unterscheiden in schreibende Jäger und jagende Schriftsteller. Bei den einen steht das Jagderleben im Vordergrund und nicht unbedingt die Schönheit der Sprache, bei den anderen die literarische Qualität – wobei die Übergänge fließend sind. Ludwig Benedikt Freiherr von Cramer-Klett (1906-1985) zählt ganz zweifellos zu den Schriftstellern. Die Qualität seiner Literatur sticht bis heute weit heraus, vergleichbar nur mit anderen Klassikern wie Anton von Perfall, Hermann Löns, Friedrich von Gagern oder Philipp Graf von Meran (im deutschsprachigen Raum).

Jetzt ist sein Band „Die Heuraffler“ mit sechs Erzählungen in einer schmucken Ausgabe neu erschienen. Die titelgebende Erzählung, zuerst 1931 in der „Deutschen Jäger-Zeitung“ veröffentlicht, markierte nach eigenem Bekunden den Durchbruch Cramer-Kletts als Jagdschriftsteller. Darin geht es vordergründig um die Jagd auf die ebenso heimlichen wie kapitalen Hirsche des Heuraffelkopfs (ein Berg in den Chiemgauer Alpen). Tatsächlich geht es aber um das Verlangen des Jägers, seine innere Triebkraft und das Wechselbad der Gefühle am erlegten Stück. Und um die Erkenntnis, dass der größte Reichtum nicht in der Aneignung der Beute liegt, sondern im Wissen um die Existenz des Geheimen, Verborgenen und schier Unerreichbaren. Wie der Autor die Spannung aufbaut und über die gesamte Erzählung hält, ist wirklich meisterhaft!

So dankenswert es ist, dass der Kosmos Verlag diesen Klassiker wieder zugänglich macht, so schade ist es, dass dem Band jegliche Einordnung von Autor und Text fehlt. Nicht einmal die Jahreszahlen der Erstveröffentlichungen werden benannt. Ein Nachwort über Cramer-Klett, seine Werke sowie deren Rezeption und Bedeutung in der Jagdliteratur hätte diesen Band noch interessanter gemacht. 

Ludwig B. Freiherr von Cramer-Klett: Vom Jagen in den Bergen. Die Heuraffler, Franckh-Kosmos Verlag 2022, 309 Seiten gebunden, 28,00 Euro

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