Texter | Journalist | Schriftsteller

Monat: Dezember 2019

Jagd zum Wohl des Mannes?

Welch haarsträubender Kommentar in der heutigen Ausgabe der Ostseezeitung! Bar jeglicher Sachkenntnis und nach offensichtlich mehr als einseitiger Recherche schreibt sich der Autor – immerhin Chefreporter der Zeitung – seine Vorurteile von der Leber.

Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll: Bei seinem völlig verzerrten Bild der Jägerschaft? Da hätte ein kurzer Blick auf die Seiten des DJV genügt (z.B. in diese Pressemitteilung). Bei seiner offensichtlichen Unkenntnis der rechtlichen Grundlagen und deren Bedeutung in der jagdlichen Praxis? Man denke nur an die aufwändige Aufstellung, behördliche Genehmigung und waidgerechte Erfüllung von Abschussplänen nach Wildarten, Altersklassen und Geschlecht. Oder bei seinen wildbiologisch eher abenteuerlichen Vorstellungen vom Wohlbefinden der Hirsche?  

Ostsseezeitung, Greifswalder Ausgabe, 7./8.12.2019, S. 6

Wahrscheinlich ist dem Verfasser gar nicht bewusst, dass er sich in der – vor dem Hintergrund des Klimawandels wieder neu entbrannten – Wald-Wild-Debatte vor einen Karren hat spannen lassen, und zwar von denjenigen, die in Wildtieren nur Schädlinge sehen. Im kommentierten Beitrag (gleiche Ausgabe, S. 9) geht es nämlich um die Frage der Notwendigkeit einer verlängerten Jagdzeit auf Rehwild, die derzeit in Mecklenburg-Vorpommern kontrovers debattiert wird, und da gibt es durchaus sachliche Gegenargumente, gerade aus Sicht des Tierschutzes (siehe dazu meinen Beitrag „Ohne Hemmungen auf Rehwild?“). Aber statt mit journalistischem Handwerkszeug die Argumente aller Seiten zusammenzutragen, diffamiert der Verfasser kurzerhand die gesamte Jägerschaft und erklärt die Jagd zu einem blöden Männlichkeitsritual.

Warum es im Kommentar dann plötzlich um Hirsche geht, bleibt offen. Denn auch in Mecklenburg-Vorpommern ist der Hirsch nicht der Vater vom Reh.

Pirschgang auf Abwegen (V)

Die Kolumne auf volkerpesch.de

Vor vielen Jahren klapperte ein Freund aus den USA die Kölnischen Apotheken und Drogeriemärkte ab, auf der Suche nach vegetarischem Vitamin C. In seiner Heimat gebe es das in jedem Supermarkt, so berichtete er seinerzeit treuherzig, es sei einfach viel gesünder als das tierische Vitamin C. Ich war damals sehr amüsiert, habe mir aber nichts anmerken lassen, höflich wie ich nunmal war und bin.

Daran musste ich jüngst wieder denken, als ich die Weihnachts-Werbebroschüre des Shops der Wochenzeitung DIE ZEIT durchblätterte. Darin werden nämlich medizinische Sitzbälle feilgeboten, bezogen mit „veganem Leder“. Das hat mich erst einmal verblüfft. Aus Leder sind meine liebste Jagdhose, der Riemen an der Büchse, die Halsung meines Hundes. Leder, das ist die enthaarte und gegerbte Haut toter Tiere – wie kann etwas aus Leder und zugleich vegan sein? 

Aufschluss gibt die Artikelbeschreibung: Es handelt sich bei diesen Bezügen um schnödes Kunstleder. Also Kunstfasern mit einer Beschichtung aus Kunstharzen, Lösungsmitteln und Weichmachern. Grundstoff dieses Materials ist Erdöl, die chemische Verarbeitung ist hochgiftig, verbraucht viel Energie und verursacht Schadstoffemissionen in Wasser und Luft. Und das oft in Regionen der Erde, in denen es weder Arbeitsschutz noch Mindestlohn gibt. Von dort gelangt es auf weiten Transportwegen ans andere Ende der Welt, beispielsweise ins Lager des ZEIT-Shops.

Kunstleder ist also nicht nur irgendwie so 70er. Nicht nur Cocktailsessel und Sitzbezug eines Alfa Romeo Nuova Super. Kunstleder ist ein in vielerlei Hinsicht hochproblematisches Erzeugnis, von dem ich bis dato annahm, es habe im modernen Lifestyle seine Berechtigung verloren. Aber verbal gepimpt scheint es wieder zu gehen: „veganes Leder“ – das klingt natürlich, nach bewusstem Leben, nach Ökologie und Nachhaltigkeit. Dabei ist „vegan“ die Beruhigung des Gewissens und „Leder“ das Qualitätsversprechen. Für diesen hochwertigen Sitzball muss kein Tier sterben. 

Mich wundert, dass die Werbestrategen sich nicht häufiger dieses Stilmittels bedienen, um minderwertige Ersatzprodukte sprachlich aufzuwerten. Ich denke beispielsweise an Kugelschreiber aus vegetarischem Porzellan (PVC) oder Kerzen aus bienenfreundlichem Wachs (Paraffin). Da geht noch was! Allerdings könnte sich das zuletzt als wenig nachhaltig erweisen. Denn ZEIT-Leserinnen und-Leser gelten ja gemeinhin als gebildet. Sie dürften bemerken, dass all diese Produkte dereinst aus den Schloten von Müllverbrennungsanlagen aufsteigen werden oder in den Mägen von Möwen und Delphinen landen. Anders als Dinge aus echtem Leder.

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