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Stallschwalben

Schon einige Jahre hält Ulrike Siegel eine eigene belletristische Nische besetzt, und das überaus erfolgreich: „Bauerntöchter erzählen“. Den Anfang machte die Bauerntöchter-Trilogie mit autobiografischen Erzählungen, die mittlerweile sogar im Schmuckschuber zu haben ist. Es folgten Bücher mit Erzählungen von Frauen, die Höfe verlassen, und solchen, die in Höfe eingeheiratet haben, außerdem von Bauerntöchtern auf den Spuren ihrer Mütter, prominenten Bauernkindern und Bauernsöhnen. 2018 gab es sogar einen Jubiläumsband mit den besten Geschichten aus 15 Jahren „Bauerntöchter erzählen“.

Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Autorin nun auch ein Buch mit eigenen autobiografischen Geschichten vorgelegt hat. Denn Ulrike Siegel ist natürlich selbst eine Bauerntochter, geboren 1961 auf dem elterlichen Hof in Baden-Württemberg. Dort ist sie aufgewachsen, dort arbeitete sie auch nach der Schulzeit, erwarb Meistertitel in Landwirtschaft und ländlicher Hauswirtschaft, studierte dann Agrarwissenschaften und schloss längere Auslandsaufenthalte in Lateinamerika, Afrika und Indien an. Über viele Jahre war sie Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Bauernwerks in Württemberg.

Die titelgebenden „Stallschwalben“ stehen für die Sehnsucht der jungen Frau, mit den Vögeln gen Süden zu ziehen. Einfach aufbrechen, die enge Welt verlassen, anstelle des kalten und kargen Winter ferne Welten erkunden – davon konnte sie nur träumen. Denn das Leben auf den Höfen in den 60er und 70er Jahren war arbeits- und entbehrungsreich, auch für Bauerntöchter. Die waren von klein auf eingebunden in Ernte, Versorgung des Viehs und häusliche Verrichtungen. In 22 kurzen Erzählungen nimmt Ulrike Siegel ihre Leserinnen und Leser mit in diese Zeit und setzt aus zahllosen Anekdoten und Erinnerungen ein authentisches Bild zusammen.  Das ist alltagsgeschichtlich interessant, meist durchaus kurzweilig und stellenweise auch recht nostalgisch. Wer es gelesen hat, wünscht sich, selbst Bauerntochter gewesen zu sein, allen Entbehrungen zum Trotze.

Ulrike Siegel: Stallschwalben. Autobiografische Geschichten einer Bauerntochter, erschienen 2019 bei LV.Buch im Landwirtschaftsverlag, 192 Seiten, 14,00 Euro

1 Kommentar

  1. Lea Söhner

    Lieber Herr Pesch,
    danke für diese tolle Rezension. Ich finde das Buch absolut bezaubernd. Es wird nicht nur der Alltag der Landwirtschaft, wie sie einmal war, beschrieben, sondern auch eine Familie, die trotz Arbeiten bis zum Umfallen ihr Leben gut lebt, ihre Ideale behält und sich Schönheit in den bescheidenen Arbeitstag zaubert. Es erzählt von Sonntagsausflügen auf dem Traktor, von Geruchsproben des Dorfschullehrers bei den Bauerskindern, von der Großmutter, die ihren Teppich im Schnee ausklopft, vom selbstgewebten Rock der Mutter und von Kartoffeln, die sortiert wurden und von denen die schönsten nicht etwa zum Verkauf ausgewählt wurden, sondern für die Verwandten in der Stadt. Die Erzählungen des täglichen Lebens sprechen zutiefst von Menschlichkeit, von Lebensfreude, von Trauer, von Geldnot, von Würde, von Sorgfalt mit den Dingen, von Dankbarkeit für die Erde, die der Familie anvertraut ist. Ein Buch, das berührt, auch dann, wenn man die Welt des bäuerlichen Lebens nicht kennt.

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