Dr. Volker Pesch

Texter | Journalist | Schriftsteller

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Zen

Lange Zeit galten Vogelbeobachter als verschrobene Gesellen. Das hat sich geändert, heute heißt ihr Hobby „Birdwatching“ und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Kein Wunder, ist doch die Begeisterung für die gefiederten Tiere, für ihre Vielfalt, Farbenpracht oder Flugkünste, alles andere als verschroben. 

Aber ist das Vogelbeobachten wirklich nur ein Hobby? Für Arnulf Conradi nicht. Aus Sicht des Verlegers, Herausgebers und Autors ist es vielmehr eine Kunst, ja mehr noch: eine Lebensform, ein Habitus. Der wahre Vogelbeobachter, schreibt Conradi, lebe seine Passion fortwährend und in jeder Situation. Im Akt des Beobachtens sei er ganz in der Gegenwart. Vergangenheit und Zukunft verschwänden vollständig in der Besinnung auf den beobachteten Vogel. Conradi vergleicht das mit der Achtsamkeitsmeditation, die ebenfalls nicht verändern wolle, sondern nur wahrnehmen, was ist. Schon der Zen-Buddhismus, aus dem diese Form der Meditation ursprünglich stamme, lebe aus einem tiefen Bezug zur Natur. 

Das Buch ist also weder praktisches Vademecum für Birdwatcher noch Bestimmungsbuch (keine Abbildungen!). Es bietet vielmehr kluge und anregende Reflexionen, lebendige Darstellungen von Vögeln in ihren Habitaten sowie Reise- und Landschaftsbeschreibungen. Geografisch reicht das Spektrum von der Antarktis bis Helgoland, von den Alpen bis Sylt, vom Grunewald über die Uckermark bis zur Peene. Ornithologisch reicht es vom Albatros über Greife und Entenvögel bis zu Amsel, Drossel, Fink und Star. Und zeitlich über sechs Jahrzehnte einer großen Passion. 

Conradi, Arnulf: Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung, erschienen 2019 im Verlag Antje Kunstmann, 240 Seiten, gebunden, 20,00 Euro

Lebensraum Jagdrevier

Dieses Buch ist ein echtes Special Interest-Sachbuch. Autor Michael Petrak leitet die Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadensverhütung des Landes NRW und ist Ausbilder für Berufsjäger, Forstleute und Naturschützer. In „Lebensraum Jagdrevier“ geht es um die Reviergestaltung durch den Jäger. Das ist hier zunächst im Sinne der Bewahrung und Förderung der Wildtiere und ihrer Lebensräume zu verstehen, wobei aber heute Naturschutz und Jagd vermehrt mit gesellschaftlichen Forderungen in Einklang zu bringen sind, etwa mit der nach einem klimaverträglichen Waldumbau. 

Der inhaltliche Bogen des Buches ist weit gespannt. Es beginnt mit allgemeinen Überlegungen und historischen Notizen zur Reviergestaltung, führt über die kartografische und statistische Erfassung eines Reviers und die aktive Gestaltung von Wald- und Feldrevieren sowie Gewässern bis hin zum Bau jagdlicher Reviereinrichtungen und die revierübergreifende Zusammenarbeit in Hegegemeinschaften. Man lernt beispielsweise, wie eine Revierkarte angefertigt wird, welche waldbaulichen Maßnahmen eine Äsungsverbesserung bewirken und wie im Feldrevier Gehölzinseln anzulegen sind.

Das ist ein interessantes und anregendes Kompendium. Allerdings fragt es sich, für welche Zielgruppe das Buch geschrieben ist. Die meisten Jagdpächter oder Begehungsscheininhaber dürften kaum in der Lage sein, derart umfassende Maßnahmen zur Reviergestaltung praktisch umzusetzen. Und für jagende Profis in der Wald- und Forstwirtschaft ist vieles nicht neu.  

Michael Petrak: Lebensraum Jagdrevier. Erkennen – Erhalten – Artgerecht gestalten, erschienen 2019 im Franckh-Kosmos Verlag, 240 Seiten, gebunden, 39,00 Euro

Bräuche im Wandel

Die Leserschaft von Wild und Hund hat es gerade zum „Jagdbuch des Jahres“ in der Kategorie „Sachbuch“ gewählt: Gerd G. von Harlings neues Buch. Über Wettbewerbe wie diesen mag man schmunzeln. Zumal dann, wenn die Teilnahme nur für Abonnenten möglich ist und auch nur mittels Postkarte. Jüngeren Leserinnen und Lesern sei das an dieser Stelle kurz erklärt: Postkarten, das sind kleine rechteckige Pappen, die müssen mit sog. Briefmarken frankiert und dann in die gelben Kästen geworfen werden, die vereinzelt noch in der Landschaft herumstehen. Es ist von daher wenig verwunderlich, wenn sich zur Preisverleihung in Dortmund ausschließlich Männer fortgeschrittenen Alters auf dem Podium einfanden. Aber das nur am Rande.

Ebensowenig verwunderlich ist, dass Gerd Harling unter den Gewinnern ist. Denn kein anderer Autor dürfte bekannter sein: Er war Schriftleiter der Wild und Hund sowie Lektor des Verlages Paul Parey und wurde vielfach ausgezeichnet und geehrt. Mehr als 60 Buchveröffentlichungen und ungezählte Beiträgen in der Jagdpresse machen von Harling zum derzeit vielleicht bekanntesten deutschsprachigen Jagdautor.

Jetzt hat er sich also die Jagd- und Jägerbräuche vorgenommen. Denn wir erlebten, schreibt von Harling, derzeit eine „Renaissance, eine Rückbesinnung auf alte, überkommene Werte“. Brauchtum stehe heute wieder hoch im Kurs. Trotzdem drohe einiges in Vergessenheit zu geraten. Ziel des Buches sei es, jüngeren Jägern das jagdliche Brauchtum näherzubringen und es älteren wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Die 10 inhaltlichen Kapitel thematisieren denn auch einzelne Bereiche jagdlichen Brauchtums, beispielsweise das Streckelegen, die Jägersprache oder den Umgang mit Trophäen. Dabei liegt der Fokus auf dem Wandel. Harling plädiert keineswegs für eine starre Aufrechterhaltung überkommener Handlungen, Begriffe oder Verhaltensweisen, und er weiß darum, dass manch eine vermeintlich uralte Tradition noch keine 100 Jahre währt. Ihm geht es darum, das jagdliche Brauchtum „lebendig zu erhalten, behutsam weiterzuentwickeln und auf Erkenntnisse und Erfordernisse der modernen Zeit abzustimmen.“

So weit, so gut. Wie zuletzt schon in Harlings Jagd(B)revier entgeht der Autor allerdings nicht ganz der Falle nostalgischer Verklärung. Er trennt aber einigermaßen strikt seine erzählerisch-anekdotisch verfassten eigenen Gedanken und Bewertungen von eher sachlich-informativ präsentierten historischen Erklärungen und Erläuterungen. Damit hier keine Zweifel aufkommen, ist das auch im Layout des insgesamt ansprechenden Buches unterschieden.

Gerd G. von Harling, Jagd- und Jägerbräuche im Wandel, Müller Rüschlikon Verlag 2019, 144 Seiten (Taschenbuch), 19,95 Euro

Pirschgang auf Abwegen (VI)

Die Kolumne auf volkerpesch.de

Nahezu täglich ploppt in meinem Facebook-Account die Werbung für den neuen Defender auf. Geht es Ihnen auch so? Wenn Sie im weltweiten Netz regelmäßig Seiten aufrufen, die mit Jagd und Natur zu tun haben, ist das sehr wahrscheinlich. Denn dann vermutet der Algorithmus hinter Ihrer IP einen potenziellen Defender-Fahrer (vielleicht auch eine Fahrerin, sofern der Algorithmus up to date ist und nicht Frauen nur rosafarbene Camouflage zugesteht).

Eine lang gehegte Befürchtung ist also Realität geworden: Land Rover legt die Legende neu auf. Das ist zumindest mutig. Das neue Ding sieht futuristisch aus, ein wenig so, als habe ein Cartoonist einen Defender für den 27. Teil von „Krieg der Sterne“ gezeichnet. Bei mir löst die Werbung allerdings in erster Linie Bauchschmerzen aus. Denn ein Defender ist ja nicht irgendein Auto. Ein Defender ist der Traum meiner Kindheit! 

Einmal war ich sogar kurz davor, diesen Traum wahr werden zu lassen. Vor ein paar Jahren habe ich im Autohaus ehrfürchtig die Stahlfelgen gestreichelt und in Gedanken aus dem Dachzelt einen Großen Kudu erlegt. Die Probefahrt brachte allerdings echte Ernüchterung: Als Fahrer sitzt man im Defender weit links. Wirklich sehr weit links. Zwischen Fahrer und Beifahrer hingegen fände noch der Kudu Platz. Außerdem rappelt und röhrt das Ding schon auf der Landstraße wie ein historischer LKW am Brennerpass. Nein – manche Träume sollte man besser ruhen lassen.

Ich habe mir dann einen Amarok gekauft. Entschuldigend sei angemerkt, dass zum Zeitpunkt meiner Bestellung VW-Dieselfahrzeuge noch als umweltfreundlich galten. Aber natürlich bräuchte ich eigentlich keinen allradgetriebenen Pick-up. Wo ich fahre, käme auch ein Nissan Micra durch. 

Warum also so eine „fette Försterkarre“ (O-Ton eines ansonsten geschätzten Kollegen)? Aus Spaß an der Freude, ich gebe es zu. Das Ding passt einfach zu meinen liebsten Beschäftigungen. Wenn ich eine Bienenbeute auf die Ladefläche wuchte oder die Büchse auf die Rückbank lege, freue ich mich darüber, dass es kein Micra ist. Ich finde das Motiv übrigens legitim und werde nicht mit meinem Psychotherapeuten darüber sprechen.

Vielleicht ist es ein wenig wie das Herz eines Löwen zu essen, auf dass dessen Kühnheit und Kraft auf den Erleger übergehen möge. Immerhin ist der Amarok in der Mythologie der Inuit ein Riesenwolf, ein einsames Raubtier, ein großer Nimrod. Und so fühle ich mich dann auch, wenn ich meinen Zweitonner auf den Aldiparkplatz lenke. Stark und unbesiegbar. Übrigens habe ich nur außenrum die Wald-und-Forst-Variante gewählt. Innendrin ist es Trendline mit Multitronic und Sitzheizung. Ich bin schließlich nicht mehr der Jüngste.

Ein Biotop als Wirtschaftsbetrieb

Im äußersten Nordosten der Republik liegt der Landkreis Vorpommern-Greifswald. Gut zwei Autostunden von Berlin entfernt bewirtschaftet eine Familie das historische Kirchengut Strellin als ökologisch ausgerichteten Betrieb.

Für heute ist die Jagd vorbei. Hinter dem Feldgehölz in meinem Rücken hat längst die Sonne ihren Tageslauf begonnen und wärmt schon spürbar. Ein letztes Mal leuchte ich die Flächen ab, bleibe kurz bei einer Ricke hängen, die sich vertraut den frischen Klee schmecken lässt, schwenke am schilfbestandenen Rand des Bruchs entlang bis zu der dichten Hecke aus Schlehen, Holunder und Weißdorn, die das Revier nach Westen hin begrenzt und lasse das Glas schließlich sinken. In den nächsten zwei oder drei Stunden wird hier kein Bock mehr kommen. Also recke und strecke ich mich und gähne dabei lauthals einen Gruß in den frühen Julimorgen. Die Ricke wirft auf, scheint das Geräusch aber nicht bedrohlich zu finden. Leise entlade ich die Büchse, packe meine sieben Sachen zusammen und baume ab.
Querfeldein gehe ich in Richtung Gutsanlage und … (lesen Sie hier weiter)

Wildlife Gardening

Imidacloprid ist ein systemisches Insektizid. Es zählt zu jenen Neonicotinoiden, die seit 2018 europaweit nicht mehr im Freiland ausgebracht werden dürfen, sehr zum Ärger vieler Landwirte. Das Verbot wurde zurecht als wichtiger Schritt für den Artenschutz bezeichnet. Aber in Baumärkten und Gartencentern ist der Wirkstoff nach wie vor frei verkäuflich, er findet sich in allen möglichen und unmöglichen Sprühflaschen und Streumitteln und wird weltweit von Hobbygärtnern in gewaltigen Mengen eingesetzt. Wenig bekannt ist auch, dass er sich in den gängigen Spot-on-Präparaten findet, mit denen Haustiere vorsorglich gegen Parasiten geschützt werden. Wenn der Golden Retriever im heimischen Garten das Bein hebt, bringt er mit großer Wahrscheinlichkeit Imidacloprid aus.

Solche Informationen braucht, wer im eigenen Garten die Welt retten möchte – oder wenigstens einen kleinen Teil dazu beitragen, sie zu bewahren. Im neuen Buch von Dave Goulson finden sie sich reichlich. Der Biologe und Insektenforscher ist Professor an der University of Sussex und einer der bekanntesten Naturschützer Englands. International bekannt geworden ist er mit Bestsellern wie „Und sie fliegt doch“ oder „Wenn der Nagekäfer zweimal klopft“. Seine Bücher sind eine Art Crossover vom Sachbuch zum erzählenden Nature Writing, lehrreich und unterhaltsam zugleich.

„Wildlife Gardening“ richtet den Fokus konsequent auf den Garten aus. Genauer gesagt auf die Insekten und deren Bedürfnisse an den Lebensraum Garten. So erläutert Goulson beispielsweise, welche Pflanzen sinnvollerweise angepflanzt werden sollten, warum selten gemähte Wildwiesen besser sind als kurzgeschorene Rasenflächen und wie sich vermeintliche Schädlinge mit Nützlingen im Gleichgewicht halten lassen. Dabei bleibt er wohltuend frei von ideologischer Eindimensionalität und schwingt keine Moralkeulen. Für die Küche wird auch kurzerhand mal ein Kaninchen erlegt. 

Dave Goulson: Wildlife Gardening. Die Kunst, im eigenen Garten die Welt zu retten, erschienen 2019 im Carl Hanser Verlag, 304 Seiten, gebunden, 24,00 Euro

Jagd zum Wohl des Mannes?

Welch haarsträubender Kommentar in der heutigen Ausgabe der Ostseezeitung! Bar jeglicher Sachkenntnis und nach offensichtlich mehr als einseitiger Recherche schreibt sich der Autor – immerhin Chefreporter der Zeitung – seine Vorurteile von der Leber.

Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll: Bei seinem völlig verzerrten Bild der Jägerschaft? Da hätte ein kurzer Blick auf die Seiten des DJV genügt (z.B. in diese Pressemitteilung). Bei seiner offensichtlichen Unkenntnis der rechtlichen Grundlagen und deren Bedeutung in der jagdlichen Praxis? Man denke nur an die aufwändige Aufstellung, behördliche Genehmigung und waidgerechte Erfüllung von Abschussplänen nach Wildarten, Altersklassen und Geschlecht. Oder bei seinen wildbiologisch eher abenteuerlichen Vorstellungen vom Wohlbefinden der Hirsche?  

Ostsseezeitung, Greifswalder Ausgabe, 7./8.12.2019, S. 6

Wahrscheinlich ist dem Verfasser gar nicht bewusst, dass er sich in der – vor dem Hintergrund des Klimawandels wieder neu entbrannten – Wald-Wild-Debatte vor einen Karren hat spannen lassen, und zwar von denjenigen, die in Wildtieren nur Schädlinge sehen. Im kommentierten Beitrag (gleiche Ausgabe, S. 9) geht es nämlich um die Frage der Notwendigkeit einer verlängerten Jagdzeit auf Rehwild, die derzeit in Mecklenburg-Vorpommern kontrovers debattiert wird, und da gibt es durchaus sachliche Gegenargumente, gerade aus Sicht des Tierschutzes (siehe dazu meinen Beitrag „Ohne Hemmungen auf Rehwild?“). Aber statt mit journalistischem Handwerkszeug die Argumente aller Seiten zusammenzutragen, diffamiert der Verfasser kurzerhand die gesamte Jägerschaft und erklärt die Jagd zu einem blöden Männlichkeitsritual.

Warum es im Kommentar dann plötzlich um Hirsche geht, bleibt offen. Denn auch in Mecklenburg-Vorpommern ist der Hirsch nicht der Vater vom Reh.

Pirschgang auf Abwegen (V)

Die Kolumne auf volkerpesch.de

Vor vielen Jahren klapperte ein Freund aus den USA die Kölnischen Apotheken und Drogeriemärkte ab, auf der Suche nach vegetarischem Vitamin C. In seiner Heimat gebe es das in jedem Supermarkt, so berichtete er seinerzeit treuherzig, es sei einfach viel gesünder als das tierische Vitamin C. Ich war damals sehr amüsiert, habe mir aber nichts anmerken lassen, höflich wie ich nunmal war und bin.

Daran musste ich jüngst wieder denken, als ich die Weihnachts-Werbebroschüre des Shops der Wochenzeitung DIE ZEIT durchblätterte. Darin werden nämlich medizinische Sitzbälle feilgeboten, bezogen mit „veganem Leder“. Das hat mich erst einmal verblüfft. Aus Leder sind meine liebste Jagdhose, der Riemen an der Büchse, die Halsung meines Hundes. Leder, das ist die enthaarte und gegerbte Haut toter Tiere – wie kann etwas aus Leder und zugleich vegan sein? 

Aufschluss gibt die Artikelbeschreibung: Es handelt sich bei diesen Bezügen um schnödes Kunstleder. Also Kunstfasern mit einer Beschichtung aus Kunstharzen, Lösungsmitteln und Weichmachern. Grundstoff dieses Materials ist Erdöl, die chemische Verarbeitung ist hochgiftig, verbraucht viel Energie und verursacht Schadstoffemissionen in Wasser und Luft. Und das oft in Regionen der Erde, in denen es weder Arbeitsschutz noch Mindestlohn gibt. Von dort gelangt es auf weiten Transportwegen ans andere Ende der Welt, beispielsweise ins Lager des ZEIT-Shops.

Kunstleder ist also nicht nur irgendwie so 70er. Nicht nur Cocktailsessel und Sitzbezug eines Alfa Romeo Nuova Super. Kunstleder ist ein in vielerlei Hinsicht hochproblematisches Erzeugnis, von dem ich bis dato annahm, es habe im modernen Lifestyle seine Berechtigung verloren. Aber verbal gepimpt scheint es wieder zu gehen: „veganes Leder“ – das klingt natürlich, nach bewusstem Leben, nach Ökologie und Nachhaltigkeit. Dabei ist „vegan“ die Beruhigung des Gewissens und „Leder“ das Qualitätsversprechen. Für diesen hochwertigen Sitzball muss kein Tier sterben. 

Mich wundert, dass die Werbestrategen sich nicht häufiger dieses Stilmittels bedienen, um minderwertige Ersatzprodukte sprachlich aufzuwerten. Ich denke beispielsweise an Kugelschreiber aus vegetarischem Porzellan (PVC) oder Kerzen aus bienenfreundlichem Wachs (Paraffin). Da geht noch was! Allerdings könnte sich das zuletzt als wenig nachhaltig erweisen. Denn ZEIT-Leserinnen und-Leser gelten ja gemeinhin als gebildet. Sie dürften bemerken, dass all diese Produkte dereinst aus den Schloten von Müllverbrennungsanlagen aufsteigen werden oder in den Mägen von Möwen und Delphinen landen. Anders als Dinge aus echtem Leder.

Rufe der Wildnis

Und noch ein Buch einer jungen Frau, die Jägerin wird! Wie es scheint, entdecken die Verlage nach und nach Thema und Klientel. Nach Pauline de Bok und Antje Joel (deren Bücher bereits an dieser Stelle rezensiert worden sind) erzählt jetzt eine junge Amerikanerin ihren Weg zu Jagd. Aber anders als de Bok schreibt Lily Raff McCaulou das nicht als existenzielle Selbsterfahrung, und anders als Joel nicht als psychotherapeutisches Projekt. Die Journalistin tut das sachlicher, reflektierter, hintergründiger und damit auch verallgemeinerbarer.

Raff McCaulou zieht berufsbedingt aus New York ins ländliche Oregon. Hier lernt sie einen Mann und mit ihm das Fliegenfischen kennen und lieben, kommt ins Gespräch mit Jägern, beginnt sich für Jagd und Naturschutz zu interessieren, besucht gemeinsam mit Jugendlichen einen Grundkurs zum Umgang mit Schusswaffen (was Absolventen der deutschen Jägerprüfung nur ungläubig staunen lässt), kauft schließlich eine erste Waffe und Abschusslizenzen und hat im weiteren Verlauf auch Waidmannsheil. Für Noch-nicht-Jäger und -Jägerinnen hilfreich sind die eingestreuten Erläuterungen und Hintergrundinformationen, etwa über den Unterschied von Flinte und Büchse oder statistische Daten rund um Jagd, Natur und Gesellschaft.

Sehr nachvollziehbar schildert die Autorin ihre Zweifel und Beweggründe, sie reflektiert Fragen und Gedanken, die sich ihr auf dem Weg zur Jägerin auftun und nicht einfach wegwischen lassen wie die Mücken beim Ansitz: Muss sie angesichts des massiven Missbrauchs von Schusswaffen nicht Skrupel haben, selbst welche zu besitzen? Ist das Töten eines Tieres ethisch zu rechtfertigen? Und wie steht es um den Verzehr von Fleisch angesichts von Massentierhaltung und Klimawandel? Dabei zieht sich ein zentraler Gedanke durch das gesamte Buch: Nur wenn wir Jäger auch echte Naturschützer sind, wird sich die Jagd gegen alle Kritik und Anfeindungen auf lange Sicht behaupten können.

Lily Raff McCaulou: Rufe der Wildnis. Warum ich zur Jägerin wurde, erschienen 2018 im Franckh-Kosmos Verlag, 336 Seiten, 25,00 Euro

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Die Herrscher der Lüfte und ich

Sandra Jung ist wahrscheinlich vielen Jägerinnen und Jägern bekannt. Zumindest jenen, die eine Affinität zu neuen Medien haben. Denn sie ist umtriebig auf YouTube, Instagram und Facebook unterwegs, bewirbt edle Jagdoptik und allerlei anderes rund um die Jagd und dabei nicht zuletzt immer auch sich selbst: Jungjägerin Sandra Jung, Falknerin Sandra Jung. Auch jene Fernsehzuschauer, die noch zu festen Zeiten ihre Empfangsgeräte einschalten, hatten schon Gelegenheiten, die überaus telegene 27jährige kennenzulernen, etwa in der NDR-Talkshow.

Die Einladung hatte sie ihrem neu erschienen Buch zu verdanken. Offensichtlich wirkt die überraschende Mischung aus junger Frau und altem Jagdhandwerk auch auf Fernsehmacher attraktiv, denn ansonsten sieht man Falkner und Jäger ja eher selten zu den guten Sendezeiten. Der Titel verrät den autobiografischen Charakter des Buches. Präziser müsste es vielleicht ICH und die Herrscher der Lüfte heißen, mit starker Betonung auf ICH, denn die Coming-of-Age-Geschichte und die Autorin selbst stehen sehr deutlich im Zentrum. Dabei sprüht aber ihre Liebe zu Adlern, Bussarden, Falken und Eulen und ihre Begeisterung für das Falknerdasein förmlich aus jeder Zeile. 

Die Zeitspanne reicht über rund 10 Jahre, von Sandra Jungs erster Berührung mit Greifvögeln über Jäger- und Falknerprüfung bis zur Gründung einer eigenen Falknerei. Und es ist wirklich beeindruckend, was sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Ben da auf Burg Greifenstein in Thüringen auf die Beine oder vielmehr zwischen die Burgmauern gestellt hat: Gewissermaßen aus dem Nichts, mit nicht mehr in der Hinterhand als der ideellen Unterstützung von Eltern und Freunden, ist aus der anfänglichen Träumerei erst eine Geschäftsidee und dann ein veritables Unternehmen mit täglicher Flugshow geworden. Sprachlich ist das Buch sicher kein Anwärter auf den Uwe-Johnson-Preis, aber es macht große Lust auf die alte Kunst, mit Vögeln zu jagen. 

Sandra Jung: Die Herrscher der Lüfte und ich. Mein Leben mit Greifvögeln, erschienen 2019 im Ullstein Verlag, 231 Seiten, broschiert, 14,99 Euro

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