Dr. Volker Pesch

Texter | Journalist | Schriftsteller

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Das große Buch vom Vogelzug

Vogelzug BuchNicht nur für Hobby-Birdwatcher ist der Zug der Vögel ebenso faszinierend wie geheimnisvoll. Manches wissen auch die Fachleute noch nicht, anderes wird dank moderner telemetrischer und molekularbiologischer Methoden nach und nach bekannt und verstanden. Angefangen bei der Frage, warum die Vögel überhaupt ziehen, warum sie Jahr um Jahr von ihren Brutgebieten in die Winterquartiere und zurück fliegen, mitunter Tausende Kilometer über Gebirge, Meere und Wüsten; über Fragen wie die, woran sich Zugvögel orientieren, mit welchen Sinnen sie navigieren, wie auch Jungvögel ohne Führung durch die Elternteile diese Reise meistern; bis hin zu Fragen über die Auswirkungen von Wetter, Klimawandel und Artensterben. 

Franz Bairlein hat jetzt eine wirklich „umfassende Gesamtdarstellung“ des Vogelzugs vorgelegt. Kaum jemand verfügte über größere Expertise zu diesem Thema als der vielfach geehrte und ausgezeichnete ehemalige Direktor des Instituts für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ in Wilhelmshaven und heutige Fellow am Max Planck Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell. Seit seiner Promotion im Jahr 1980 war und ist die Vogelzugforschung sein Forschungsschwerpunkt. Und damit ist auch das einzige Manko dieses Buches benannt: Der Mann weiß zu viel.

Aber das wird ernsthaft nur bemängeln, wer leichte Nachtlektüre sucht. Wer sich dagegen verlässlich über den Vogelzug informieren will, hält mit diesem Werk die derzeit umfassendste und übrigens auch für Laien gut lesbare Gesamtdarstellung des weltweiten Vogelzuges in der Hand. Auf mehr als 350 Seiten stellt Bairlein systematisch dar, was es zum Thema darzustellen gibt, illustriert und verdeutlicht durch unzählige Grafiken und Fotos. Ein umfassendes Stichwortregister ermöglicht die Nutzung als Nachschlagewerk.

Franz Bairlein: Das große Buch vom Vogelzug. Eine umfassende Gesamtdarstellung, Aula Verlag 2022, 368 Seiten gebunden, 49,95 Euro

Endlich Jäger

Jungjäger scheinen nach wie vor eine lesende Zielgruppe zu sein. Das jedenfalls muss denken, wer einmal spaßeshalber die Begriffe „Buch“ und „Jungjäger“ in die Internet-Suchmaschine eingibt. Die Liste der einschlägigen Titel ist erstaunlich lang, ganz offensichtlich gibt es einen Markt für „Jungjägerguides“ und „Jäger-Knigges“. Wer also schon ganz kulturpessimistisch befürchtet hat, der jagende Nachwuchs tummele sich heute ausschließlich in Social-Media-Kanälen und auf den Blogs junger Jagdinfluencer*innen, darf wieder hoffen.

Für das hier angezeigte Buch haben sich vier Jägerinnen und Jäger zusammengetan und jeweils ein Kapitel beigesteuert: Alexander Losert, Sportschütze, Schießlehrer und Fachautor, befasst sich mit dem Handwerkszeug des Jägers, angefangen bei der Büchse über blanke Waffen und Zubehör bis zur Waffenaufbewahrung und zum Gebrauchtwaffenkauf. Johannes Maidhof, jagdlicher Autor und Produkttester sowie ehrenamtlicher Naturschützer, schreibt über Zielfernrohre, Nachtsicht- und Wärmebildtechnik sowie über die Blattjagd, außerdem versammelt er abschließend noch einige kurze Statements, beispielsweise zum Brauchtum. Michel Lauer, Ausbildungsleiter einer Jagdschule, thematisiert Jagdarten und jagdliche Einrichtungen sowie Öffentlichkeitsarbeit und den Umgang mit Jagdkritik. Und Carola Rathjens, Jagdautorin und Hundeführerin mit agrarwissenschaftlichem Mastertitel, steuert das Thema „Jagdhunde“ bei und macht sich außerdem noch kurz Gedanken über Frauen auf der Jagd, jagdliche Kontakte, die Grundausstattung des Jägers und die Arbeit nach dem Schuss.

Jedes der reich bebilderten Kapitel beginnt mit „10 Fragen an …“ und endet mit einem Porträt des Autors bzw. der Autorin. Aber damit sind die systematischen Gemeinsamkeiten schon erschöpft. Wenn auch im Einzelnen viel Lesenswertes im Buch steht und es ganz sicher kein Schaden für den Jungjäger und die Jungjägerin ist, es zu lesen, so wirken die vier Kapitel insgesamt etwas zufällig zusammengestellt. Warum beispielsweise Optik und Blattjagd in einem Kapitel zusammengefasst sind, oder „Jäger und ihre Hunde“ und „Frauen bei der Jagd“, erschließt sich dem geneigten Rezensenten nicht. 

Alexander Losert, Johannes Maidhof, Carola Rathjens, Michel Lauer: Endlich Jäger! Und nun?, Verlag Müller-Rüschlikon 2021, 191 Seiten gebunden, 24,90 Euro

Die falschen Feuer von Thiessow

Eine Erzählung von Volker Pesch

Google Maps Rügen

in: Karin Braun und Gabriele Haefs (Hrsg.), Piratengeflüster, Hamburg 2022, S. 333-347

Seit er denken konnte, hatte er dem Vater geholfen. Hatte winters Netze geknüpft, für die alte Reuse in der Wiek und den kleinen Heuer, mit dem sie auf dem Rügischen Bodden fischten, solange kein Eis war oder schwerer Sturm. Hatte mit ihm Planken über Wasserdampf gebogen und die rotbraunen Segel geloht mit der stinkenden Brühe aus Eichenrinde, Leinöl und Wurzelteer. Immer und immer wieder, Jahr um Jahr, bis das Baumwolltuch brüchig war und sich neues gefunden hatte, als günstiger Kauf oder angespült am Oststrand. Hatte mit der Ahle und gewachstem Garn Pützeimer und Persenninge aus den alten Fetzen genäht, und im flackernden Licht der Kerzen Leinen gespleißt als Festmacher, Schoten und Falle. Alles, was er konnte, hatte Krischan Kaldevitz vom Vater gelernt, hier in dem windschiefen Holzschuppen hoch über der See.

Aber heute war etwas anders als sonst … (Lesen Sie hier die ganze Erzählung).

Neu: Im Peenetal

Ein Hinweis vorab: „Im Peenetal“, mein neues Buch, ist kein Reiseführer im engeren Sinne. Die Reportagen und Erkundungen nehmen hier ihren Ausgang und finden ihre Themen; Aber was ich über Natur- und Artenschutz schreibe, über Umwelt und Landschaft, Sing-, Greif- und Wasservögel, Amphibien und Insekten, Schutz und Nutzung – das gilt natürlich überall. Mit anderen Worten: Leserinnen und Leser müssen weder das Peenetal kennen noch eine Reise dorthin unternehmen, um das Buch mit Gewinn und Genuss lesen zu können!

Der bekannte Ornithologe Hans-Heiner Bergmann schreibt über das Buch in „Der Falke – Journal für Vogelbeobachter“ (11-2022): „Wer die ‚Wanderungen durch die Mark Brandenburg‘ von Theodor Fontane gelesen hat, wird sich manchmal erinnert fühlen … Der Autor hat als Journalist sorgfältig recherchiert … Als Ergebnis ist ein (…) Sachbuch entstanden, das in unterhaltsamen Tönen viel Information präsentiert … Wer jedoch ins Gebiet (d.i.: das Peenetal) reist, sollte vorher das Buch lesen, auch um die Geschichte und das gegenwärtige Gesicht der Landschaft zu verstehen.“

 

Aus dem Vorwort:

Im Peenetal

Vor ein paar Jahren sah ich im ersten Licht eines gar nicht so schönen Morgens meinen ersten Peenebiber. Gemeinsam mit einer Handvoll anderer Frühaufsteher hatte ich mich am Bootsanleger des Örtchens Stolpe eingefunden, um unter sachkundiger Führung mit dem Solarboot in den Sonnenaufgang zu gleiten. Anschließend sollte ich darüber schreiben, so war es besprochen mit Redaktion und Veranstalter. Und obwohl die Sonne die ihr zugedachte Rolle nur bedingt spielte und ich meine Fotos in einem langfadigen Nieselregen machen musste, wurden meine Erwartungen an die Tour weit übertroffen: Wir sahen nicht nur den Biber aus nächster Nähe, sondern beobachteten auch Eisvögel bei der Jagd und lauschten dem eigenwilligen Gesang eines Rohrschwirls.

Ich war nicht zum ersten Mal im Peenetal. Aber erst an diesem verregneten Morgen ist mir richtig klar geworden, wie einzigartig es hier ist – und zwar jenseits von Postkartenkitsch. Seitdem bin ich immer wieder hergekommen, morgens und abends, zu allen Jahreszeiten, mit Fernglas und Notizblock, allein oder in Begleitung. Ich habe neue Pfade gesucht und alte Orte erkundet, Pflanzen und Tiere beobachtet, mir nasse Füße und einen trockenen Mund geholt. […] Und mittlerweile schreibe ich nicht nur darüber, sondern führe gelegentlich selbst Besucher durch das Peenetal.

Zu meinen Führungen gehört immer auch, den Blick zu lenken auf die vielfältigen Spuren der Nutzung. Wer es nicht gesagt bekommt, wird in der krautigen Sumpflandschaft wohl kaum den alten Torfstich erkennen, und im weiten See nicht die intensiv bewirtschaftete Wiese, die hier noch vor drei Jahrzehnten lag. Das Peenetal ist alles andere als „Wildnis“ oder „unberührte Natur“. Es ist nicht nur geformt vom Eis der letzten Kaltzeit, sondern auch und vor allem von Menschenhand.

Letztere hat viel zerstört, aber seit einigen Jahren macht sie vieles wieder wett. Was wir heute im Verlauf der Peene sehen und erleben können, ist zu weiten Teilen Folge eines ambitionierten Naturschutzprojektes. Das ist großartig und ungeheuer spannend mitzuerleben. Aber machen wie uns nichts vor: Gleich hinter dem Talrand beginnen die artenarmen Raps- und Maisfelder der konventionellen Landwirtschaft. Und auch der Klimawandel macht keinen Bogen um das Peenetal.

[…]

Kein vernunftbegabter Mensch kann das noch leugnen. Dennoch leben wir so, als gäbe es die Probleme nicht. Unbeirrbar halten wir an unserer Lebensweise fest, die Energie, Rohstoffe und Flächen verbraucht, als ließen sich neue herbeizaubern. Und wir reden uns ein, das Problem werde sich dank Windkraft, Lastenfahrrädern und veganer Ernährung lösen. Also durch technische Innovationen und ohne echten Verzicht. Das ist natürlich Unsinn, und im Grund wissen das auch alle. Wir sind wie Kinder, die sich beim Versteckspiel die Augen zuhalten und glauben, deswegen nicht gefunden zu werden.

Doch dieses Buch soll niemandem die Laune verderben. Ich möchte weder Salz in Wunden streuen noch den moralischen Zeigefinger heben, sondern den Fokus auf diese einzigartige Landschaft richten und meine Begeisterung weitergeben. Dass es auch ein Plädoyer für den Schutz des Peenetals und seiner Flora und Fauna geworden ist, liegt in der Natur der Sache. Aber zuerst und vor allem ist das Buch eine Liebeserklärung, eine Liebeserklärung in Reportagen und Erkundungen.

Der thematische Bogen reicht von der Entstehung der Landschaft über die vielfältigen Formen ihrer Nutzung bis zu den laufenden Renaturierungsprojekten. Ich lenke die Aufmerksamkeit auf Pflanzen und Tiere, angefangen bei Torf zersetzenden Bakterien und endend bei Seeadlern und Kranichen. Schmetterlinge nehme ich in den Blick, Frösche, Kormorane und nicht zuletzt die Singvögel. Auch wenn es kein systematisches Sachbuch ist, so vermitteln die einzelnen Kapitel doch ein Gesamtbild des Peenetals, und das auf unterhaltsame Art – das denke und hoffe ich jedenfalls. […]

 

„Eine Liebeserklärung an das Peenetal
mit seinen wunderbaren Pflanzen und Tieren.
Eine Liebeserklärung
in Reportagen und Erkundungen.“

Im Peenetal

Neuerscheinung 2. Juni 2022 – hier & jetzt bestellen!
Volker Pesch 
Im Peenetal
. Reportagen und Erkundungen
Illustrationen von Karen Kunkel
Hardcover, 184 Seiten, Format 12,5 x 19 cm, 
Edition Nordwind 2022,
ISBN 978-3-00-072206-6
Nur 14,90 Euro

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Der Wolf und wir

Der Wolf und wir

Vor rund 22 Jahren wurden in der Muskauer Heide die ersten deutschen Wolfswelpen der Neuzeit geboren. Irgendwo in Sachsen, in der Oberlausitz, auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz. Ohne den regional Indigenen zu nahe zu treten, wird man wohl sagen können, dass dieser Ort weit entfernt von jeglicher Aufmerksamkeitsindustrie liegt. Es dauerte eine Weile, bis sich 2005 ein zweites Rudel fand, noch in der Nähe, aber dann breiteten sich die Wölfe rasant aus: Im Monitoringjahr 2020/21 wurden in der Bundesrepublik 157 Rudel und 27 Paare bestätigt. In der Summe dürften hier also derzeit mindestens 1400 Tiere leben, und viele Beobachter gehen davon aus, dass es noch deutlich mehr sind.

Die Literatur zur Rückkehr der Wölfe zeigt ein beinahe ebenso exponentielles Wachstum. Da gibt es einige lesenswerte Bücher, etwa Eckhard Fuhrs „Rückkehr der Wölfe“ oder Klaus Hackländers „Er ist da“, und auch viel esoterischen Unsinn („Wolfsmedizin“, „Krafttier der Seele“, „Das geheime Wissen der Wölfe“). Auch Kurt Kotrschal hat mit „Wolf – Hund – Mensch“ bereits einen interessanten Beitrag geliefert. Jetzt hat der unterdessen emeritierte Professor an der Universität Wien und Mitbegründer des Wolf Science Center Ernstbrunn (WSC) noch ein weiteres Buch vorgelegt.

Kurt Kotrschal gehört zu den weltweit renommiertesten Verhaltensforschern. Über Jahrzehnte verglich er gemeinsam mit seinen KollegInnen am WSC das Wesen von Wölfen und Hunden in Beziehung zum Menschen. Eine Besonderheit dieser vergleichenden Forschungen war und ist, dass hier Wölfe und Hunde gleichermaßen und parallel aufgezogen und erforscht werden. Im Ergebnis dieser Arbeiten mussten schon einige als sicher geglaubte Erkenntnisse über Hunde und Wölfe (und Menschen!) über Bord geworfen werden. Das spannende, knapp 100 Seiten starke Kapitel „Wie Wölfe zu Hunden wurden“ basiert auf diesen Forschungen.

Die beiden anderen Hauptkapitel über die Beziehungsgeschichte Wolf-Mensch und die Rückkehr der Wölfe sind leider von einem unsachlichen und inakzeptablen Jäger-Bashing geprägt, das diese Teile schwer lesbar macht. Jegliche Kritik an der unregulierten Ansiedelung der Wölfe, nicht nur von NutztierhalterInnen, sondern auch von renommierten KollegInnen, behandelt Kotrschal herablassend als Mythos oder Irrglaube, und er weist penetrant auf illegale Wolfstötungen durch JägerInnen hin. Unbedarfte LeserInnen müssen den Eindruck gewinnen, die österreichische und deutsche Jägerschaft sei ganz überwiegend damit beschäftigt, die Überwindung der Biodiversitäts- und Klimakrise zu verhindern. Wenn sie nicht gerade Wölfe meuchelt, züchtet sie Reh-, Rot- und Schwarzwild, aus reiner Trophäengier, wie sich wohl versteht.

Solcherart Unsachlichkeit schadet allerdings Autor und Buch mehr als den Diffamierten. Es mag sein, dass die Situation in Österreich eine andere ist. Für Deutschland sieht die Zahl – nach Angabe des Nabu, der nicht im Verdacht steht, JägerInnen zu verteidigen – so aus: Zwischen 2000 und 2021 wurden 66 Wölfe illegal getötet. Das sind 66 zuviel, keine Frage! Aber angesichts einiger Tausend Wölfe, die in diesen Jahren hier gelebt haben oder noch leben, und angesicht der mehr als 400.000 JägerInnen, ist eine derart undifferenzierte und teilweise ehrabschneidende Pauschalkritik („Ewiggestrige“), wie Kotrschal sie hier übt, schlicht und ergreifend ungerechtfertigt und sachlich falsch.

„Heute ist die Rückkehr der Wildtiere mit Konflikten und aufgeheizten Debatten über Gefahr und Abschuss verbunden“, schreibt der Verlag zum Buch. Genau deswegen hätten man sich von einem Wissenschaftler wie Kurt Kotrschal einen ausgewogeneren Beitrag gewünscht.

Abendflüge

Abendflüge

Mit „H wie Habicht“ hat Helen Macdonald 2014 einen vielfach ausgezeichneten autobiografischen Roman und Bestseller geschrieben. Angesichts der Thematik war das mehr als überraschend: Zur Bewältigung der Trauer über den plötzlichen Tod des Vaters erwirbt die Autorin ein Habichtsweibchen und richtet es für die Beizjagd ab. Detailliert beschreibt sie Erfolge und Rückschläge sowie die zunehmende Bindung zwischen Beizvogel und Falknerin. Aus der Passion wird allerdings zunehmend Obsession, mit erheblichen Folgeproblemen. Bereits 2006 hatte sie ein lesenswertes Buch über Falken geschrieben, die „Biografie eines Räubers“, das hierzulande aber erst nach dem Erfolg des Habichts-Buches auf den Markt kam.

Jetzt hat die britische Autorin einen Band mit Essays vorgelegt, in denen es um Nester, Wolkenkratzer oder Winterwälder geht, auch um Schwäne, Gewitter oder Beeren. Viele davon sind zuerst in Magazinen wie dem New York Times Magazine oder in Sammelbänden erschienen. Es sind insgesamt 41 Prosastücke, selten länger als 5 oder 8 Seiten, kurze Geschichten, Gedanken und Reflexionen, die sich nur schwer einem literarischen Genre zuordnen lassen. Am ehesten ist es wohl New Nature Writing

Helen Macdonald sagt über sich selbst, ihr Thema als Schriftstellerin sei die Liebe, und zwar „in allererster Linie die Liebe zur schillernden Welt des nichtmenschlichen Lebens um uns herum.“ Diese Liebe erkennt die Eigenständigkeit von Natur an und hinterfragt die menschlichen Zuschreibungen und Annahmen. Damit schafft sie auch die Möglichkeit, Verschiedenheiten zu erfahren und sich an der Komplexität der Natur zu erfreuen, ohne sie sich Untertan zu machen. Zuletzt geht es um die Rolle des Menschen auf unserem Planeten. Die Essays kommen aber so leicht und spielerisch daher, dass es an keine Stelle pathetisch wird. 

Helen Macdonald, Abendflüge, Hanser Verlag 2021, 352 Seiten gebunden, 24,00 Euro

Marike und Julius im Wald

Marike und Julius

Viele Kinderbücher handeln von Natur und Umwelt, zeigen das Leben auf dem Bauernhof oder im Wald. Meist werden Pflanzen und Tiere darin vermenschlicht. In den Fußstapfen von Balu, Bambi und Biene Maja sagen sich Fuchs und Hase Gute Nacht, während Baum-Mama schützend ihre Äste über Baum-Kind ausbreitet und Baum-Papa leise ein Gutenachtlied raschelt. Manch ein späterer Bestsellerautor ist durch diese Schule gegangen und zehrt noch heute davon. 

Guido Höner, im Hauptberuf Chefredakteur der Zeitschrift top agrar, ganz offensichtlich nicht. Denn Marike und Julius erleben den Wald und die moderne Forstwirtschaft als Menschenkinder. Die beiden machen Ferien im Forsthaus, wo Marder und Eule nachts gruselige Geräusche machen und die Rehe schrecken. Förster Alex und andere Erwachsene zeigen und erklären ihnen alles. Mit dem Land Rover fahren sie durchs Revier, vermessen Holzpolter, zählen Jahresringe, unterscheiden Baumarten. Sie lernen viel über die Funktionen des Waldes, über Pflanzen und Tiere, über nachhaltige Forstwirtschaft und die Verwendung von Holz. Und sie schauen Förstern, Forstwirten und Sägewerkern bei der Arbeit zu. 

Der Verlag bezeichnet das Buch als „erzählendes Sachbuch“ für Kinder ab 7 Jahren. Das trifft es recht genau. Die detailreichen Illustrationen sind ebenso realistisch wie der Text sachlich und nüchtern ist, es gibt zusätzliche Infokästen und ein Quiz zur Überprüfung des Gelernten. Allerdings zeichnet das Buch eine ziemlich heile Welt: Es gibt keine Zweifel oder Kritik an der modernen Forstwirtschaft, da wird ganz korrekt gegendert, alle sind jung, unheimlich engagiert und überaus freundlich zueinander, selbst der Harvester fährt über die Zweige gefällter Bäume, um den Boden zu schonen. Nur Borkenkäfer und Rehe stören die Idylle, weswegen neben den FörsterInnen auch JägerInnen dafür sorgen, dass Wald und Wild zusammenpassen. 

Guido Höner und Noemi Bengsch: Marike und Julius – Entdecke mit uns den Wald Jahr, LV.Buch Verlag 2021, 120 Seiten gebunden, 16,00 Euro

Der Holzweg

Der Holzweg

Stürme, Trockenheit und Käfer haben den deutschen Wäldern in den letzten Jahren stark zugesetzt. Besonders betroffen sind Fichten und Kiefern, aber auch Eichen und Buchen geht es vielerorts nicht gut. Der forstwirtschaftliche Schaden ist immens, und die Funktionen der Wälder für die Allgemeinheit (als Lebensräume, Luftreiniger, Wasserspeicher und Naherholungsorte) sind massiv beeinträchtigt. In öffentlichen Verlautbarungen von Politik und Verbänden ist der Ruf nach einem klimastabilen Mischwald längst Common Sense.  

Aber die Ursachen liegen nicht nur im Klimawandel. Vielmehr sind die Probleme unserer Wälder auch hausgemacht. 200 Jahre Orientierung an den Erfolgsbilanzen der Forstbetriebe, so der Tenor aller Beiträge eines neu erschienenen Sammelbands, haben erst die Voraussetzungen für Windwurf, Wassermangel und Schädlingsfraß geschaffen. Und nicht nur in diesem Punkt sind sich alle 36 Autorinnen und Autoren einig, sondern auch in einer Grundüberzeugung: Wenigstens die öffentlichen Wälder, also die Bundes- und Landesforste und Forste in kommunaler Hand, sollten zuerst und vor allem dem Gemeinwohl dienen und nicht der Gewinnmaximierung. 

Die fachlich ausgewiesenen Forstleute und Wissenschaftler verstehen ihr Buch explizit als „Kampfansage“ an verfehlte Forstpraktiken, als Weckruf an die Zivilgesellschaft und als dringenden Appell an die Politik, eine ökologische Waldwende „vom Försterwald zum Bürgerwald“ einzuleiten. Aber darin steckt auch ein Manko des Buches: Andere Stimmen kommen nicht zu Wort. Die Argumente derjenigen, deren Tun hier so scharf kritisiert wird, werden nicht sachlich diskutiert, sondern ignoriert oder kurzerhand zu „Mythen“ und „Märchen“ erklärt. Ohne diese holzschnittartige und stellenweise unsachlich Polemik wäre das an sich interessante Buch noch lesenswerter.

Hans D. Knapp, Siegfried Klaus, Lutz Fähser (Hrsg.): Der Holzweg. Wald im Widerstreit der Interessen, erschienen 2021 im oekom-Verlag, 480 Seiten, Broschur, 39,00 Euro

Die verlorenen Zaubersprüche

Die verlorenen Zaubersprüche

Robert Macfarlane gilt als einer der Wegbereiter des New Nature Writing. Im deutschen Sprachraum wurde er bekannt mit seinem Buch „Karte der Wildnis“ (erschienen 2015, im Original 2007; Rezension siehe hier). Darin hatte er sich auf die Suche nach den letzten unberührten Flecken Natur gemacht und seine Funde in einfühlsamer und klangvoller Sprache beschrieben. Seitdem sind Titel wie „Alte Wege“, „Im Unterland“ oder „Berge im Kopf“ hinzugekommen, die Macfarlane zu einem modernen Klassiker dieses Genres machen.

Jetzt hat er ein Buch mit „verlorenen Zaubersprüchen“ geschrieben. Dabei ist der Titel etwas irreführend: Es sind darunter nicht wirklich Zaubersprüche versammelt, jedenfalls nicht, wenn man dabei an Harry Potter denkt. Es sind eher Beschwörungsformeln, gedichtartige und bildreiche kleine Geschichten oder Beschreibungen von Pflanzen und Tieren. Oder auch Sprüche, Lieder, Psalmen, Zungenbrecher. Man solle sie, so wird im Vorwort empfohlen, laut vor sich hin sprechen oder singen – um den Verlusten an Lebewesen, Orten und Wörtern unserer Epoche entgegenzuwirken.

Besonders zu würdigen ist die Arbeit der Übersetzerin Daniela Seel. Literarisches Übersetzen ist immer eine schwierige Tätigkeit, und das Übersetzen von Lyrik ganz hohe Kunst. Die „verlorenen Zaubersprüchen“ bergen aber noch eine besondere Komplikation: Die einzelnen Verse beginnen nämlich mit den Einzelbuchstaben der beschworenen Tiere oder Pflanzen, also Verse zur Eiche beispielsweise mit den Buchstaben E, I, C, H und E. Hier deutsche Entsprechungen zum englischen Original gefunden zu haben, dürfte selbst schon an Zauberei grenzen.

Ob man sich mit diesem Buch in den Wald setzt oder es doch lieber auf dem stillen Örtchen liest, ist einerlei. Für letzteres ist es allerdings zu schade: Wie alle Bücher in der Reihe „Naturkunden“ ist es sehr hochwertig ausgestattet, und die wunderbaren Illustrationen von Jackie Morris machen es zur bibliophilen Kostbarkeit.

Robert Macfarlane und Jackie Morris: Die verlorenen Zaubersprüche, Verlag Matthes & Seitz 2021, 120 Seiten gebunden, 22,00 Euro

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