Ein großes Raubtier kehrt nach Deutschland zurück. Doch mit der Population wachsen die wirtschaftlichen Schäden, und mit den Schäden der Streit. Die einen fordern Schutz und Monitoring, die anderen Jagd und Regulierung. Nein, die Rede ist nicht vom Wolf. Halali-Autor Dr. Volker Pesch hat sich vielmehr mit der Kegelrobbe an der Ostseeküste beschäftigt.

Ein einzelner Höckerschwan zieht vorbei. Das rhythmische Schlagen seiner Schwingen hatte ihn angekündigt, lange bevor der weiße Vogel selbst auszumachen war. Es ist an diesem Aprilmorgen das einzige Geräusch, die einzige Bewegung über dem Greifswalder Bodden. Abgesehen vom Tuckern des Dieselmotors und dem Kielwasser des Kutters. Selbst die Möwen scheinen noch zu schlafen. Weit voraus am Horizont zeichnet sich schemenhaft die kleine Insel Greifswalder Oie ab. An backbord wird die Steilküste von Mönchgut erkennbar, an steuerbord verwandelt die aufgehende Sonne die Schornsteine des ehemaligen Kernkraftwerks von Lubmin in weithin sichtbare Landmarken. 

Hier, an der seewärtigen Grenze des Biosphärenreservats Südost-Rügen, liegen die Fischgründe eines der letzten Küstenfischer. Sein Name tut nichts zur Sache, also nennen wir ihn einfach „Jochen“, mit langem O, wie es in Vorpommern üblich ist. Üblich wie das orange Ölzeug als Schutz gegen Wetter und Fischschuppen, üblich wie die Gummistiefel und der Stoppelbart, der in Form und Farbe an eine Spülbürste aus dem Bioladen erinnert. Dieser Jochen ist nur eine Erfindung des Autors, aber er steht stellvertretend für einen Berufszweig, der die Region einst wirtschaftlich und kulturell geprägt hat und heute zwischen Fangquoten, Nachhaltigkeitszertifikaten und Weltmarktpreisen aufgerieben wird. 

Sein Alter ist schwer zu schätzen, er ist sicher nicht mehr der Jüngste. Obwohl er das schon ewig und drei Tage macht, ist ihm die aufmerksame Anspannung anzusehen, während er eine seiner Reusen ansteuert. Deren hölzerne Stengen sind ins flache Wasser an den Rand einer Untiefe gerammt. Die Topografie des Meeresgrundes zwingt hier die Fische aufzusteigen und leitet sie in die Netze. Jochen drosselt den Motor. „Werden gleich sehen, ob die Viecher heut Nacht wieder dranwaren“, grummelt er, während das Boot mit letztem Schwung auf die wackelige Konstruktion zutreibt.

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